Hochzeit auf brasilianisch

08.July 2013 - Montes Claros


Keine Angst, es war nicht meine Hochzeit! Mein Gasthalbbruder Rafael, der im Erdgeschoss wohnt und seine Verlobte Maria Cecilia haben geheiratet.

reitagabend als ich vom Dienst nach Hause kam, war das Haus schon voll von Leandras Eltern und Geschwistern. Antenor wollte mir Pequi andrehen, aber mir war nicht danach. Immer wieder rief es Mae! Mae! Und es wurden immer mehr Leute. Ich verzog mich mit der Gitarre in mein Zimmer um abzuschalten, wo die nächsten Tage auch Samira, Leandras Schwester, schlief.

m Samstagvormittag war der Bräutigam noch so entspannt, dass er mit seinem Bruder bis in den Nachmittag hinein Videospiele zockte. Die Damen waren da schon nervöser. ?Wir müssen noch künstliche Wimpern kaufen!?, ich wollte aber lieber in Ruhe weiter frühstücken. Später hielten mir das Kleid hin, das aber war immer noch zu lang und ich sollte unbedingt auch den hautfarbenen BH ausziehen. Ok, ohne BH ging auch, aber man könnte es doch noch ein bisschen kürzen.

ir fuhren wieder ins zurück ins Zentrum zur Schneiderin des Vertrauens. Die guckte uns ungläubig an. ?Ich bin mit meinen Arbeiten hinterher. Festkleidung nähe ich nicht. Außerdem habe ich keinen Faden!? Das mit dem Faden musste ein Witz sein? auf der Theke lagen mindestens 5 blaue Fäden. Willkommen in Brasilien! Ich werde also den Saum des Kleides immer etwas lupfen müssen. Leandra kaufte noch Schuhe, die über und über mit Strass besetzt waren, als hätte sie nicht schon genügend. Auf dem Parkplatz traf sie noch eine Bekannte aus Schulzeiten, die ihr noch eine Hochzeitseinladung in die Hand drückte. Und schon begann die Lästerei und es hörte das ganze Wochenende nicht auf?

urück zu Hause ging ich schnell ins Bad um Haare zu waschen, damit wir alle bis um 6 fertig wären. Samira war mit ihren Nägeln beschäftigt und nötigte ihre Mutter mir die Haare glatt zu föhnen. Ich hatte dann den Fön in der Hand, den ich schräg über meinen Kopf halten sollte. Doch ich traf die Strähne nie so recht, aber ich habe ja hinten auch keine Augen im Kopf! Sie hatte nach 2 Minuten die Geduld verloren und rief den Frisör an. ?Da gehst du jetzt hin. Das kostet 12 Reais!? Das war so eine Art Hinterhof-Schönheitssalon, wo alle Frauen des Viertels versammelt waren, um sich für das Wochenende die Haare und die Nägel machen ließen. Ich wartete 20 min bis ich dran kam. Noch einmal waschen? Warum? Ich wollte doch nur glätten lassen? Danach würde kurz angeföhnt. Jetzt begannen zwei Frisörinnen Strähne für Strähne auf eine Rundbürste zu rollen, aber das war nicht gerade sanft. Es zog rechts und links. Ab und zu wurde der Fön ziemlich heiß. Ich guckte in den Spiegel und betastete meine Haare. Das war nur noch das halbe Volumen? Die andere Hälfte hatten sie mir bestimmt ausgerissen!

ie Damen zu Hause waren glücklich über meine Haare, ich musste mich erst dran gewöhnen. Meine Nase sah auf einmal so groß aus. Die Kosmetikerin war schon da und schminkte Samira und Leandras Augen schwarz wie die Nacht. Es wurde immer später und ich war immer noch nicht dran. Ich bat sie schlussendlich , vielleicht nicht ganz so viel aufzutragen. ?Ja, bei dir machen wir das etwas dezenter, du bist ein heller Typ!? Ich sah gar nicht, was sie bei mir auftrug. Grundierung, Rouge, Wimperntusche, Kajal, Lippenstift. Das meiste davon sind Fremdwörter für mich. Ein paar Haarsträhnen steckte sie nach hinten und endlich konnte ich mich im Spiegel anschauen. Oh je, wer ist das? Schlecht sah es nicht aus, nur eben anders. Es war eher wie Fasching, einmal verkleiden bitte!

m 7 waren alle fertig bis auf Antenor, der sich weigerte seine Jeans auszuziehen. Alle Frauen begannen auf ihn einzureden und steckten ihn in einen Anzug. Ein Theater! Viel zu spät saßen wir im Auto. ?Zu welcher Kirche müssen wir überhaupt?? Ich fand das alles etwas absurd komisch und musste lachen. Leandra rief Waldemar an. ?Ist das die Kirche, wo Kika geheiratet hat??

ie jungen Leute standen schon Spalier und wir waren bestimmt die letzten. ?Du setzt dich am besten schon rein zu meiner Mutter.?, sagte Leandra. Judite saß in der ersten Reihe und etwas hilflos stand ich daneben. ?Du kannst hier nicht sitzen. Such dir einen anderen Platz.? So brachte mich diese Frau zum dritten Mal an einem Tag auf die Palme. Ich setzte mich weit hinten ins Seitenschiff, wo noch etwas frei war und man noch etwas sehen konnte.

u bombastischer Musik zogen die jungen Paare ein, danach folgte der Bräutigam flankiert von seinen Eltern und zum Schluss die Braut, mit Eltern zum Hochzeitsmarsch. Von der ganzen Messe habe ich leider fast gar nichts verstanden, nur dass der Pater schon ihre zukünftigen Kinder segnete und sich einmal versprach. Halleluja. Zu ?Freude schöner Götterfunken? zogen die Gäste aus, weil schon die nächste Hochzeitsgesellschaft bereit stand. Draußen war ein kleiner Pavillon aufgebaut, wo das Brautpaar die Glückwünsche entgegen nahm und Süßigkeiten verteilte. Junior suchte mich schon und guckte mich zwei Mal an. ?Anika, bist du das? Wir haben dich etwas vernachlässigt.?

Wir fuhren den anderen hinterher Richtung Zentrum, wo die Feier stattfinden sollte. Ich stand nicht auf der Gästeliste, aber Rafael, instruierte den Türsteher, dass ich als Freundin der Familie dazugehöre. Alle Gäste waren schon oben im Saal, als die Braut in einem Pickup kam. Da konnte sie bestimmt am einfachsten ein- und aussteigen.
Ich saß mit Leandras Familie am letzten Tisch und ihre Eltern bewegten sich an diesem Abend kein bisschen. Manchmal setzte sich irgendeine Tante an den Tisch. Oder die Mädels quatschten mit irgendeiner Cousine. Zu essen gab es nur ein paar Snacks und gegen Mitternacht ein kleines Büffet. Das Brautpaar tanzte irgendetwas zu einem Wiener Walzer, aber alle klatschten! Ein DJ legte von Abba bis Techno alles auf und um mir die Zeit zu vertreiben gesellte ich mich auf die Tanzfläche und zog meine Pfennigabsatzsandalen aus. Rafael ging von Tisch zu Tisch und hielt mit jedem Mal einen Schwatz. Maria Cecilia hatte ihren Schleier abgelegt und war die meiste Zeit auf der Tanzfläche. In dem schlichten Kleid sah sie trotzdem aus wie eine Prinzessin. Was will man mehr, als dass das Brautpaar glücklich ist?

Leandras Vater war schon nach einer Stunde verschwunden. Er mag einfach keine Feste. Keine schnitt die Hochzeitstorte an? Wir ließen uns aber ein Stück mitgeben, als wir wie die meisten Gäste um 1 Uhr gingen. Ich war schon etwas enttäuscht ? ist es schon vorbei? Dafür der ganze Aufwand? Samira meinte, es sei eben nur eine kleine Feier (100 Leute) der Familie gewesen und die war schon größer als vermutet.

Ich musste jetzt das ganze Makeup wieder runter kriegen und musste bei meinen Gastschwestern betteln. Was man hier dezent nennt, war für mich schon zu viel.
Sonntagvormittag wollte Judite wegen Kopfschmerzen nicht aufstehen. Sie jammerte die ganze Zeit und stand auf einmal mit einem meiner Beutel in der Küche. ?Sind das deine Medikamente?? Ja, wenn da nur deutsch draufsteht? Ich borgte ihr eine Aspirin, war aber trotzdem sauer, was sie mit meinen Sachen wollte. ?Warum hast du das?? Nach dem Motto: Denkst du wir haben hier keine Apotheke? ?Wenn ich auf Reisen gehe, wollen meine Eltern immer, dass ich eine kleine Reiseapotheke dabei habe.? Sie legte sich wieder ins Bett und ihre zwei Töchter legten sich neben sie. Ich sollte mich dazu setzen, doch bei der beginnenden Lästerrunde wollte ich nicht mitmachen.

Wir waren um 10 zum Churrasco im Hause der Braut eingeladen. Um 12 sagte Rafael am Telefon, es sei noch keiner da. Antenor war schon zeitig abgereist und heute prügelten die Mädels Judite aus dem Bett, dass sie sich fertig machte. Sie wollte aber nicht dass wir da hungrig hingehen und machte noch ihre Pequi mit Spiegeleier warm. Ein Wahnsinn, bei dem Churrasco werden wir nicht verhungern. Um 2 kamen wir an und schon etwa 30 Leute saßen im Hinterhof des Hauses. Judite zog wieder ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter, ich suchte was zu essen, schaute mir das Haus an und schaute zu wie die Früchte des Kakaobaumes geerntet werden. ?Wie, bei euch gibt es keine Kakaobäume? Woher kommt denn dann die gute Schweizer Schokolade??

Um 5 waren wir wieder zurück und ich musste bei meinen Eltern erst einmal den Frust des Wochenendes loswerden. Eine Sache stand noch an: die Expomontes. Das ist so eine Art Westsachsen-Schau mit Forró-Konzert. Meine Mitstudentin Sanelly hatte mich gewarnt: ?Die Musik ist schrecklich, die Leute hässlich und es ist kalt!? Leandra wollte aber unbedingt mit mir hingehen. ?Diese Tasche nimmst du nicht mit. Da sind viele Diebe.?, sagte Judite. Ich ließ alles da, bis auf mein Handy. ?Anika, hast du deinen Fotoapparat dabei?? ?Nein, das sind zu viele Diebe.?, antwortete ich Junior. Da musste sogar Judite lachen.

Allein 20 Reais für einen Parkplatz und 30 Reais Eintritt sind schon zornige Preise! Emidio und ich gingen noch als Studenten durch und zahlten die Hälfte. Zuerst landeten wir auf einer Art Rummel, mit Karussell und Achterbahn, woran sich eine Fressmeile anschloss. Am Ende kamen die Stände der Firmen und Ställe, wo man die Tiere begutachten konnte. Wir setzten uns in eine recht dreckige Bar, um die Zeit zu vertreiben, aber als um 11 das Konzert losging, war Leandra schlecht und wir fuhren nach Hause. Zum Glück ist morgen Montag und der Krankenhauswahnsinn geht wieder los!