Jahreswechsel

12.July 2013 - Montes Claros


Montagmorgen drehte ich eine Runde durchs Krankenhaus. Es war recht leer und ruhig. Heute sollten die neuen Studenten kommen und meine Leute fangen ihre neue Rotation an. Gegen 8 erschienen sie, Luis, Sanelly und Vilma in der Pädiatrie, Fernandinha, Isabela und Carolin der Inneren. OPs gibt?s heute keine, denn Dr. Claudio Henrique hat Urlaub und Dr. Magno wird bestimmt nur einen Patienten stationär aufnehmen. Also ging ich in die Notaufnahme und half Tairone bei der Visite. Dr. Cassio guckte nur kurz vorbei, weil er in eine Besprechung musste.

Dann standen die neuen Studenten in der Tür, die Cassio oder Romildo suchten. Die Armen, keiner kümmert sich um sie! Eine Stunde später teilten sie sich selbstständig auf und zwei gesellten sich zu mir in die Notaufnahme. ?Bist du Assitenzärztin?? ?Nein. Ich bin nur Studentin, wie ihr.? Die zwei packten fleißig mit an und als Cassio wieder kam, stellte er uns alle an. Wo ich vor zwei Wochen noch die dumme Austauschstudentin war, durfte ich heute als erfahrenste Notfallstudentin entscheiden, was ich machen will. Ich ging mit zur Notfall-OP, die sich als ein perforiertes Dünndarmulkus herausstellte und durfte zum Schluss die Haut nähen.

Bis kurz nach 19 Uhr fiel Dr. Cassio immer noch etwas ein, was wir zu tun hätten. Als er dann anfing über meine unperfektes Portugiesisch Witze zu machen, hörte der Spaß auf. ?Entschuldigung, Dr. Cassio, nach 19 Uhr habe ich leider keinen Sinn für Humor mehr.? Das war ziemlich deutsch von mir, aber die Wahrheit. ?Geh nach Hause, dich entspannen!?

Zu Hause föhnte Judite Leandra die Haare. Ihre Taschen waren schon für die Abreise gepackt. Emidio würde da bleiben, weil er Urlaub hat. Ich nahm meine neue Aufgabe als Hundemutter war und kümmerte mich um Bebel, die Hyäne. Rafael ist diese Woche in den Flitterwochen und wollte sie nur ungern bei seiner Mutter lassen. Und da ich ja die ganze Zeit da sei, tat ich ihm den Gefallen.

Bebel bellte schon freudig und sprang an mir hoch. Ich tauschte das Wasser aus und legte eine Hände voll Trockenfutter in den Napf. Judite sagte mir nicht tschüss. ?Es wäre schön, wenn du das diese Woche in den Müll legst.? Wird erledigt. Abends schickten mir meine neuen Mitstudenten ihren Dienstplan. Warum hatten sie heute für mich ?frei? eingetragen? Das geht ja gut los!

Am Dienstag nahm sich Romildo Zeit und führte die neuen Studenten herum. ?Das ist Nayara, unsere hervorragende Assistenzärztin und Anika leistet auch eine große Arbeit.? Hihi, vor 10 Wochen stand ich so planlos in der Tür. Nayara spannte gleich zwei für eine Aufnahme eine. Auf den dritten Patienten wartete ich bis nachmittags um 5. Luis machte sich ein bisschen lustig. ?Du arbeitest nicht, du lässt die anderen arbeiten! Was früher Sandovalismo war ist heute Anikanismo!? ?Ach, Luis, du bist nur neidisch, denn deine Patienten weinen und schreien den ganzen Tag!?

Am Mittwoch hatte ich dann endlich wirklich einen freien Tag. Es regnete und ich ging im Internet auf WG-Suche. Als es aufhörte, machte ich mich auf den Fußmarsch zur Unimontes, um jemanden zu finden, der meine PJ-Äquivalenzbestätigung ausfüllt. Das Ding musste ich nur noch drucken. In der Studentenverwaltung gab es kein Papier, aber sie verwiesen mich freundlicherweise an einen Copyshop. Von der Kurskoordination der Medizin wurde ich ins Rektoriat geschickt, von der Forschung zum Austausch. Als ich im 5.Büro meine Geschichte von neuem begann und wieder zur Kurskoordination zurückgeschickt wurde, verzweifelte ich. ?Ich brauche doch nur eine Unterschrift! Die Dokumente habe ich doch schon alle!? ?Willst du dich erst mal hinsetzen und ein Wasser trinken??, fragte die freundliche Dame. ?Danke, das ist sehr nett, aber so komme ich nicht weiter.? Sie schickte mich zum Austauschbeauftragten Joao Felicio, mit dem ich schon einige Emails geschrieben habe. Er unterhielt sich in aller Ruhe mit mir, fragte wie es mir gefällt und wie die Ausbildung in Deutschland abläuft. ?Prof. Magna ist die neue Kurskoordinatorin und wird das Schreiben unterzeichnen, wenn du die Bestätigung vom Krankenhaus hast!? Das ist ja mal ein Wort! Ich kehrte wieder zum Ausgangspunkt zurück und ließ mir die Nummer von Prof. Magna geben. War das eine schwierige Geburt! Zum Schluss lief mir noch Vilmas Schwägerin in spe über den Weg. ?Wann unternehmen wir wieder was zusammen? Ihr müsst mir Bescheid sagen!?

Abends fand noch die offizielle Einführung ins PJ für die Neuen statt. Sich nach 10 Wochen anzuhören, was man eigentlich tun sollte, ist schon lustig. Der Seminarraum hat ein Fenster zum Gang und draußen ging Zé Ronaldo mit seinem Bruder Walfredo vorbei. Er fing an uns die Zunge rauszustrecken und Grimassen zu ziehen, dann kam er rein und sagte zu mir: ?Hör nicht auf diese Menschen aus der dritten Welt! Das sind alles Analphabeten, die kein Deutsch sprechen!?

Am Donnerstag und Freitag leiste ich meine letzten beiden Notfalltage ab. Mit den Neuen läuft das gut, die sind auf Zack und wenn der Dienstarzt seinen Stempel in der Schublade lässt, schaffen wir das auch alle alleine. Ich nähte die Zehe eines Strafgefangenen. ?Anika, weißt du warum er einsitzt?? ?Nein, ich will es auch gar nicht wissen.? ?Er hat einen Arzt geschlagen, der ihn ohne Betäubung genäht hat.? Haha. Nachmittags warteten wir nur auf das Dienstende.
Ich packte meinen Laptop aus, weil die Ärzte auf ihren Iphones herumspielten.

Am Freitag hatte ich eigentlich schon mittags Schluss, aber es sah so aus, als gäbe es noch eine Notfall-OP. Allerdings wurden die Untersuchungsanforderungen der Patientin verlegt und bis abends um 6 war noch nichts gelaufen. Ich hatte den ganzen Nachmittag mit meinem Mitstudenten Felipe Neri verquatscht. ?Bleib doch da, was willst du alleine zu Hause!? Mit dem schwulen Felipe hatte ich viel zu lachen. ?Ach Makeup, die wahre Schönheit kommt von innen. Sonst wachst du irgendwann früh auf und erkennst die Frau nicht mehr, die neben dir liegt!? oder ?Kennst du ?Liebe braucht keine Ferien?? Da hab ich geheult.? ?Ja Felipe, den habe ich auch gesehen. Da wird einem richtig warm ums Herz.? Mit Felipe habe ich eine Freundin in der neuen Seminargruppe gefunden.