Ta gostando?

31.May 2013 - Montes Claros


?Anika! Ich werde dich nicht fragen, ob es dir gefällt. Vielleicht gefällt mir die Antwort nicht.?
Ach, Dr. Romildo, vielen Dank, dass du die Frage nicht gestellt hast. Tá gostando? Sie hängt mir leider zum Hals raus. Es fragt jeder immer. Nicht nur dann, wenn ich gute Laune habe.
?In diesem Punkt bin ich gut erzogen. Ich werde immer sagen, dass es mir gut gefällt.?
?Na gut, bist du mit den Oberärzten zufrieden? Ist es eine gute Zusammenarbeit??
?Ich kann mich nicht beklagen. Alle kümmern sich gut um mich.?
?Prima, dann wünsche ich dir einen schönen Feiertag!?

Auch wenn ich mich schon an manches gewöhnt habe, bleibt jeder Tag ein Abenteuer, eine Herausforderung. Ich gehe fast jeden Tag mit einem besseren Gefühl aus dem Krankenhaus, als mit dem ich gekommen bin.?

Ich hoffe jeden Tag, das Geld für den Bus passend zu haben, denn der ?Schaffner? hat maximal 3 Reais Wechselgeld. Habe ich nur einen großen Schein, gehe ich nochmal kurz in der Bäckerei vorbei und kaufe etwas als Alibi, um genug Kleingeld zu haben. Einmal war ich spät dran und hatte nur 20 Reais dabei. Er druckste die ganze Zeit herum, er habe nix. Er gab mir 15 Reais zurück und meinte ich müsse am nächsten Tag nicht zahlen. Gleiche Zeit, gleicher Bus. Er erinnerte sich wirklich dran.

Im Bus sitzt meistens auch Franciele, eine Schwesternschülerin, mit der ich immer einen kleinen Schwatz halte. Nur spricht sie so schnell, dass ich häufig nachfragen muss. Sie winkt mir immer, wenn ich sie auf Station treffe.

?Anika!?, ruft Julio, mein Lieblingspförtner. ?Tudo bem?? Bei ihm geht es immer schnell und unkompliziert. Er wünscht mir auch ein schönes Wochenende. Daniel, sein Kollege lächelt mich jeden Tag unsicher an und fragt ?Wie war dein Name??, was mich auf die Palme bringt.

Dann beginnt die Suche. Wo ist mein Oberarzt? Wo ist mein Assistenzarzt? Die lassen sich morgens immer Zeit und ich laufe bestimmt 5 bis 10 mal zwischen Notaufnahme und Station hin und her um jemanden zu finden. Wir müssen die Patienten visitieren und alle Medikamente jedes einzelnen Patienten neu verschreiben, was nicht selten bis um 10 dauert, weil irgendjemand immer in der Kaffeepause ist.

Danach kleckern so langsam die Patienten in unser ?Consultório?. In der Patientenbeschreibung steht in 95% der Fälle ?Motorradsturz?, ?Verkehrunfall?, ?Schnitt am Fuss?. Ab und zu kommt auch eine Rarität, wie ein Hämatom nach einer Messerstecherei. Jemand hatte es auf die Freundin des Patienten abgesehen. Nur hatte der Rivale ein Messer dabei. Als die Betäubung noch nicht wirkte und Vilma schon am Hämatomentlasten war, sagte Felipe: ?Mann, deine Freundin muss ja hübsch sein!? Felipe ?Doidao?, der Verrückte, ist immer weg, wenn man ihn braucht. Er schläft bei den Fallvorstellungen, redet anderen dazwischen und überweist eigenmächtig Patienten, die gar nicht überwiesen werden sollen. Und ist er einmal zur Stelle, erzählt er allen Chirurgen an der Tür unseres Sprechzimmers von den Eigenheiten seiner Ex-Freundin. ?Anika, hast du einen Freund?? Diese Frage mag ich ebenfalls nicht. Egal, was ich antworte, wird mir entgegnet, ?Such dir hier einen und bleibe doch da, wir brauchen auch Ärzte!?
?Würde es mit uns beiden funktionieren?"
?Felipe, ich glaube aus uns beiden wird nix.?
?Warum denn nicht??
?Ich möchte nicht, dass du eines Tages so von mir sprichst, wie heute von deiner Ex-Freundin.?
Da musste er erst einmal schlucken. Ich hatte das wenigste verstanden, aber allein die Art und Weise war mir schon höchst unsympathisch.
?Ok, da hast du recht. Aber die Wahrheit muss gesagt werden.?

Im OP ist Zé Ronaldo fast verstummt, bestimmt weil er gemerkt hat, dass er mich eher verschreckt, als mich aus der Reserve zu locken. Damit wird es auch ungewohnt ruhig im OP, fast schon meditativ. Man kann ohne groß Aufsehen zu erregen Kaffee oder Wasser trinken und bekommt auch mal ein Mittagessen hingestellt ? wenn es mal wieder länger dauert. Wie die Gallengangsdrainage am Dienstag. Ich guckte nur zu, weil Luís mit Assistieren dran war. Es fehlte nur noch das Kontrollröntgen, dass sie sich von den Orthopäden ausborgen mussten. Das zog sich hin und es war schon kurz nach 1. ?Anika, hast du Kinder?? Die Frage verstand ich erst beim zweiten Mal. Entweder ich verziehe mich oder ich ziehe mir eine Röntgenschürze an. Wenn mich die Herren unbedingt loswerden wollen? So kam ich in den Genuss eines Mittagessens und weil Hunger der beste Koch ist, waren der Reis und die Bohnen diesmal besonders vorzüglich. Als ich fertig war ging auch die OP weiter. Ich grinste Luis an und sagte: ?Als ihr mich weg geschickt habt, meine Eierstöcke zu schützen, habe ich gleich die Gelegenheit genutzt? Also beeil dich mit der Naht, eine Portion gibt es noch!? Luís nähte sehr schön und bekam noch eine Portion. Seine ruhigen Hände möchte ich haben? Als ich bei der letzten OP genäht habe, verhieß die Stimme von Sergio Barcala im Gang schon nichts Gutes. Der ?Marschall? ist zurück vom Europaurlaub. Ich nähe schon wieder nicht mehr so, wie er es mir gezeigt hat. ?Was macht der Daumen da? Der hat am Nadelhalter nichts zu suchen! Und warum zitterst du so?? ?É só a sua presencia.? Nur wegen Ihre Anwesenheit. Herr Marschall.

Alle hatten schon Muffensausen vor seinem Seminar und konnten nicht genug Bücher lesen um gut vorbereitet zu sein. Statt sich seinen Fragen auszusetzen, stellten meine Mitstudenten immer mehr Fragen. ? O Sérgio, macht man da ein Roux-Y??
?Anika, wo ist der His-Winkel? Mal sehen ob ihr in Deutschland mehr Anatomie lernt als hier!? Er war gut drauf und beantwortete geduldig unsere Fragen.

In der anschließenden Fallbesprechung wurde viel über radiologische Fragestellungen diskutiert. Diesmal gab es einen anderen Ehrengast, Dr. Claudio Henriques Cousin aus Portugal. Er ist auch Radiologe und wurde zur Wichtigkeit des MRTs bei Analfisteln befragt. Dr. Goncalvo freute sich besonders und ich murmelte ein ?Parabéeens!? in mich hinein. Später wurde den Radiologen unterstellt, nicht Medizin studiert zu haben, was Katiane, die Frau von Claudio Henrique nicht auf sich sitzen ließ. ?Ich habe das gleiche studiert wie ihr. Und wo bei meinem Mann 40 Bücher stehen, stehen bei mir 300, weil wir Radiologen für alle Fachrichtungen arbeiten!?
Dr. Goncalvo begrüßte Fernanda und mich mit einem Handkuss. ?Ach, habe ich euch vermisst, meine Lieben!? Und ich hatte schon gehofft, bei dem Besuch aus Portugal jetzt etwas in den Hintergrund zu rutschen. Nix da. Sein Schnauzbart war nur etwas stachlig.

?Wollen wir noch irgendwo einkehren?? Seit dem Wochenende hat Vilma einen Narren an mir gefressen und sich zur Aufgabe gemacht, meine Freizeit zu verplanen. Will sie den anderen ein schlechtes Gewissen machen, dass sie sich nicht ausreichend um mich kümmern? ?Samstag können wir zu meiner Mutter aufs Land fahren? Und abends bei Fernanda kochen!? Mal sehen, was Fernanda dazu sagt.

Weil das Internet nicht funktionierte und ich mein letztes deutsches Buch schon ausgelesen hatte, war mir abends zu Hause fast langweilig. Ich schaltete den Fernseher an und guckte die 21-Uhr-Novela. Großer Zirkus, so wie in Deutschland, nur haben die Frauen aufwendigere Fönfrisuren und tragen höhere Absätze. Immerhin kann ich nebenbei noch mein Sprachverständnis trainieren ;-)

Heute (Donnerstag) war ein Feiertag und ich zog meine Trekking-Sandalen an und zum Pampulha-See am anderen Ende der Stadt zu spazieren. Es waren weniger Leute auf den Straßen und viele Geschäfte waren geschlossen, dafür mehr Radfahrer und Walker unterwegs. Ich lief am Dilson vorbei, dem Krankenhaus, wo ich sonst immer beim Marschall antraben muss ? aber nicht heute. In den Bäckereien saßen die Leute bei einem Imbiss und einem Schwätzchen beieinander und die Motorradfahrer hupten mich an, ob ich eine Mitfahrgelegenheit suche. Gegen halb 11 kam ich in Pampulha an. Der See hat schon etwas beruhigendes, auch wenn er eher als Müllkippe benutzt wird und allerlei Unrat drinnen schwimmt. Trotzdem waren einige Familien hergekommen und vertraten sich die Beine. Auf dem Rückweg kaufte ich noch Obst und Gemüse ein und Onkel Archimedes erklärte mich für verrückt, so weit zu laufen. Aber welches Transportmittel habe ich neben dem Bus und meinen beiden Beinen?

Ich klopfte bei Rafael, ob er mir mit dem Internet weiterhelfen könne ? noch eine Woche Novela müsse nicht sein. Mit einem Klick war das Problem gelöst und er zeigte mir sein Tonmisch-Programm, wie er die verschiedenen Tonspuren übereinander legt. Jetzt weiß ich auch, was Stereo bedeutet. Er spielte mir auch seine neuste Komposition vor. ?Aber warum bleibt deine Stimme so weit im Hintergrund??, fragte ich ihn.
?Ich mag sie nicht besonders.? Er drückte mir die Akustikgitarre in die Hand und bastelte eine Schlagzeugbegleitung zu U2s ?With or Without you?. ?Das ist zu schnell? die ist zu laut.?
?Ähm, ich glaube ich muss mich erstmal aufs Singen konzentrieren.? Wir probierten ein einfaches brasilianisches Stück.
?Wie lange spielst du schon Gitarre??
Ich überlegte - noch nicht lange eigentlich. ? So 3 oder 4 Jahre.? Eigentlich sind?s ja 5 Jahre.
?Der Rhythmus zur Begleitung passt noch nicht. Du musst am besten mit dem Original mitspielen.? Da hatte er meinen wunden Punkt getroffen. Ich spiele immer nur in meiner stillen Kammer etwas vor mich hin und habe ernstlich noch niemanden begleitet.

Noch eine Herausforderung!