Zugfahrt auf indisch

08.January 2012 - Varanasi


Namaste,
Zugfahren in Indien ist in der Tat ein Erlebnis, welches direkt am Eingang des Bahnhofs beginnt. Wenn wir den Eingang des Gebäudes gefunden haben werden wir von einer Menschenmasse empfangen, die sich aus den unterschiedlichsten Menschen zusammensetzt. Einige tragen schwere Kartons oder Körbe voller Stroh durch die Gegend, andere sitzen auf Decken zusammen mit 10 anderen in der Bahnhfshalle und warten auf die verspäteten Züge, wieder andere futtern noch schnell vor der Reise ein paar Samosa an den Imbissähnlichen Ständen. Eine Plattform an einem Bahnhof in Indien ist sehr lang und geht man entlang des Bahnsteiges um an die richtige Stelle zu gelangen, an der der gebuchte Zugabschnitt irgendwann hoffentlich hält, erkennt man schnell die Vielfältigkeit der Menschen innerhalb der Spanne von Armut und Reichtum. Ein Zug besteht aus 8 Klassen. Entlang dieser Plattform warten unzählige Menschen mit unterschiedlichster Kastenzugehörigkeiten, Berufen und Herkünften. Vom Bettler, über Bauern bis hin zum reichen dicken Inder, steht hier alles entlang dieser einen Plattform. Die Vielfältigkeit Indiens ist enorm und ich frage mich, wie dieses rießen Land mit einer so großen Spanne an Armut und Reichtum, mit über einer Millarde an Menschen in der Zukunft all seine Probleme angehen wird. Wir sind auf dem Weg von Jaipur nach Jodhpur und haben uns vor einigen Tagen dazu entschieden mal in einer der unteren Klassen ein Ticket zu buchen. Der Einstieg in den Zug grenzte aus meinen Augen an Mord und Totschlag. Der Zug hat noch nicht einmal gehalten, da versuchten ca 120 Inder zur gleichen Zeit, durch eine winzig kleine Tür in den Wagon zu gelangen. Getrengel, Geschupse, Schreie und wir stehen ganz brav in der Schlange oder beser gesagt hinter dem Klumpen an Menschen. Mir kam die Idee, dass dies vielleicht der letzte Zug nach Jodhpur in den nächsten 2 Jahren ist. Kann eigentlich nicht sein... ich habe später einen Inder gefragt, warum alle so einen Streß machen. Er meint, dass es vorkommen kann, dass der Zugfahrer einfach losfährt bevor alle eigestiegen sind und deshalb alle schnell in den Zug wollen. Mmhhh...ich glaube, das hat noch andere Wurzeln...die viel tiefer liegen. Die Menschen scheinen mir kein Vertrauen in irgendjemanden zu haben und sind somit sich selbst der nächste. Innerhalb der Familie ist das sicherlich anders, aber untereinander sieht jeder im anderen in aller erster Linie jemanden, den man besser nicht vertraut. Vielleicht ist es das Jahrelange Sklaventum durch die Engländer, vielleicht auch die Überbevölkerung und der kleine Raum, vielleicht ist es die Armut, vielleicht fehlendes Verständnis füreinander...vielleicht von allem ein wenig. Jeder der es nun in den Wagon geschafft hat beginnt nun den Kampf um den Platz für sein Gepäck. Dabei spielt es keine Rolle ob sie bei dem Versuch das Gepäck nach oben zu schmeissen ein paar ihrer Mitbürger durch einen Schlag gegen den Kopf K.O. schlagen. Alles watschelt durcheinander, vorwärts, rückwärts, übereinanderdrüber...einmal drin, kommt man jedenfalls nicht mehr raus hier und so ganz wohl gefühlt hab ich mich dabei nicht. Wir habens geschafft...der Zug rollt los. Ich habe mir geschworen mich nie wieder über die deutsche Bahn zu beschweren! Ich mag die deutsche Bahn! Der Zug ist dreckig, an den winzigen Fenster sind Gitter, an der Decke befinden sich pro halben quradratmeter ein Ventilator. Wir sind mit ca. 120 Leute auf kleinsten Raum, eng nebeneinander sitzend und der ein oder andere Passagier hat keinen Sitzplatz. Neben mir sitzt eine Inderin mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schoß. Sie beobachtet mich ununterbrochen von der Seite. Der kleine schaut mich mit seinen braunen Kulleraugen immer wieder mal an, ich lache ihn an, erfindet das komisch und schaut schüchtern weg. Links neben mir sitzen meine zwei Jungs und spielen Schach. Wie langweilig gegen das Treiben hier. Mir gegenüber zwei alte Herren in Mütze und Handschuhe. ES sind ca 20 grad hier drin, die scheinen wärmere Temperaturen im Sommer gewöhnt zu sein. Das eintönige Rumpeln des Zuges ist laut, schaft es aber nicht die Geräusche im Wagon zu übertönen. Ich höre husten, fieses husten, solches bei dem man den Schleim in der Luftröre wackeln hört. Klingelnde Handies, Telefonate( ich habe immer das Gefühl, die streiten sich am Telefon), raschelnde Kekstüten, schnattern. Einer kommt vorbei mit Tee..?Chai?...Chai???? ruft es, ein anderer mit was zu futtern, wieder einer mit Chips...und so weiter. Es dauert nicht lange, da schauen dem Schachspiel von Julian und Sunny eine Runde Inder zu. Sie schauen nur, sagen nichts, ganz ohne jegliche Regung. Eine typische Verhaltensweise der Inder auch auf der Strasse. Sobald wir auch nur einen moment stehen bleiben und irgendwas schauen, stehen unmittelbar ein paar Sekunden später 5-10 Inder um uns herum, nicht um uns zu helfen, nur um zu gucken...bis einer vielleicht irgendwann fragt: ?What you look? Come see my shop...good quality!? Dabei wackelt der Kopf von rechts nach links und zurück. Ich genieße das Land und ich genieße die Reise...
Bis bald
Christina