Kalkutta oder die Stadt der Freude

14.December 2011 - Kalkutta


Namaskar,
unsere Reise durch Indien soll in Kalkutta, dem heutigen Kolkata starten und nach einem Zwischenstop in Dubai sind wir nun hier. Weit weg vom sauberen, ruhigen und strukturierten Deutschland befinden wir uns nun in einer Stadt, die mit ihren 14 Mio Menschen, sich über zu wenig Einwohner nicht beschweren braucht. Am Flughafen angekommen, weht uns direkt eine Briese staubige Luft um die Nase und meine Geruchsknospen schnuppern eine Mischung aus Abgas und verbrannten Müll. Ich bin mal wieder in der dritten Welt und Erinnerungen aus Nepal kommen sfort wieder in mir hoch. Das sich die indische von der nepalesischen Mentalität deutlich unterscheidet habe ich schon gehört, jedoch konnte ich mir das bislang noch nicht so recht vorstellen, sind doch beide Länder aus dem gleichen Kulturkreis und mit 90 Prozent Hinduisten auch in Ihrer Religion nicht verschieden. Es soll nicht lange dauern bis ich es selber erleben darf. Sunny sagt, dass Inder es schaffen einem Glatzköpfigen eine neue Frisur zu verkaufen. Ich bin mittlerweilen sogar der Meinung, dass Inder es schaffen einem Glatzköpfigen davon zu überzeugen, dass alle Friseure in der Stadt momentan ausgebucht sind und er der einzige ist, der diese Leistung erbringen kann. Natürlich macht er einen Freundschaftspreis, der netterweise doppelt so hoch ist, wie der im Friseurladen um die Ecke.
Meine Freundschaft zu den Indern wird direkt auf eine harte Probe gestellt und ich übe mich die Situationen zu nehmen wie sie eben sind. Von Kinderbeinen an, scheinen Sie zu lernen, dass Touristen Taschen voller Dollarscheinen haben und das einzige Ziel es ist, diese mit allen Tricks aus Ihnen heraus zu locken. Von allen Seiten verfolgen sie uns, bieten uns Ihre Rikschas, Taxis, Haschisch und andere Dinge an. Aus den süßen Kindermünder hallen uns Sätze wie ?Hello Rupie??, ?Hello Chocolate??, ?Hello Schoolpen?? oder ?Hello Football?? entgegen. Fragt man nach dem Weg, so kann man ziemlich sicher sein, dass die Wegbeschreibung direkt in den eigenen Shop um die Ecke führt. Einmal saßen wir im Taxi und wollten die Einrichtungen der Mutter Theresa besuchen, als plötzlich der Taxifahrer stoppte. Sein Auto sei kaputt, aber es sei nicht mehr weit, direkt da vorne sei unser Ziel. Komisch fand ich es, als er genau eine halbe Minute später an uns vorbeifuhr und das Auto wieder Einwandrei zu funktionieren schien. Als wir das nächste Mal auf die Karte schauten, war unser Ziel einen Fußmarsch von einer halben Stunde entfernt. Der hatte wohl einfach keine Lust mehr.
Kolkata ist groß und die Straßen sind besäht mit einer Vielzahl aus gelben Taxen. Es hupt von vorne, es klingelt von hinten, es schreit von rechts, es bettelt von links und von oben kackt ein Vogel auf meinen Pullover. Die Luft ist trüb von Abgas, Staub und all dem Rauch der aus den brennenden Müllhaufen am Strassenrand aufsteigt. Menschenmassen drängen sich durch die Strassen, bleiben stehen an den Ständen mit frischen Obst, gepressten Säften, Samosa und Pani Puri. Der Duft steigt in meine Nase, doch mein Magen sagt nein, die Bakterien würden mir nicht so gut tun. Jeder Schritt entlang des Weges bringt einen neuen Duft in meine Nase. Die Spannweite reicht von Curry bis Klo und dazwischen einiges für mich nicht identifizierbares. Kühe liegen auf den Strassen, werden umfahren von den unzähligen Verkehrsteilnehmern. Hunde schwirren mir um die Füße, die Zitzen schlackern im Laufrythmus hin und her wenn sie aufmerksam von Müllhaufen zu Müllhaufen laufen um die letzten verwertbaren Reste zu futtern, die Ihren Babies die vertwolle Milch liefern soll. Oftmals bleibt Ihnen nicht viel Zeit bevor sie von einem daherschluffenden Inder mit einem ordentlich Tritt in die Rippen verscheucht werden. Eine der lebensnotwendigen Angewohnheiten der Inder ist das kauen von Pan. Pan ist ein roter Kautabak, der in den Mund gesteckt wird, solange gekaut wird bis der Speichel das gesamte Volumen der Mundhöle gefüllt hat und anschließend mit gekonnter Art und Weise auf die Strasse gespuckt wird. Ich finde das so eckelig! Die spucken das zu jeder Gelegenheit um sich rum. Ich habe eine Reisende getroffen, die macht Fotos von der roten Spucke auf der Strasse. Sie meint es bildet sich immer wieder ein neues Bild, und wenn sie noch so schön feucht ist, dann klitzert das in der Sonne. Ihr seht, Kunst hat einige Facetten. Für mich sind diese roten Spuckflecken einfach nur eine weitere Herausforderung, ohne auf irendwas klitschig, eckeligen auszurutschen meines Weges zu gehen. Die Strassenmenschen von Kolkatta haben sich Ihre Wohnzimmer an den Bürgersteigen eingerichtet und leben Tag für Tag im Dreck, kochen und wärmen sich in den kalten Winternächten am Feuer auf der Strasse. Rikscha Wallahs, das sind Superdürre Inder, bekleidet mit einem Doti (Langes Tuch um die Hüften) und einem Tuch um den Kopf gewickelt, einem Glöckchen ums Handgelenk und zwischen zwei Deichseln klemmend, ziehen sie eine Rikscha über den Asphalt von Kolkatas Strassen. Im Trap und völlig barfuß, manche haben Schluppen an, die viele Jahre erzählen könnten, ziehen sie schweißtreibend ihre Fahrgäste durch die Stadt. Vielleicht kennt einer von Euch, das Buch Stadt der Freude von Dominique Lapiere. Ein wunderschönes, berührendes Buch über das Kalkutta aus dem Jahre 1973 und der Held des Buches ist Hasari Pal, einer der Pferdemenschen, wie Lapiere die Rikscha Wallahs nennt. Schaut man auf den Alltag in dieser Stadt verschwinden die Probleme von daheim und die Bilder der Stadt verfolgen mich in meine Träume. Etwas Ruhe finden wir im Botanischen Garten von Kolkata und schön ist der Anblick der Lotusblüten auf dem Teich. Aus dem größten Sumpf in den Teichen kommt eine so wunderschöne Blume hervor. Ein Sinnbild, dass Schönes nicht immer durch Schönes genährt werden muss?
Am Victoria Memorial, welches ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit in Indien darstellt, treffen wir dann gut gekleidete Inder, die immer wieder mit der Bitte nach einem gemeinsamen Foto an uns herantreten. Wir Europäer müssen in deren Augen ganz schön schräge Vögel sein. Insgesamt sind es nur 3 Tage, die wir in dieser Stadt verbringen und ich bin sicher, dass es länger braucht sie zu lieben und und zu verstehen und denoch spüre ich Wucht, die in dieser Stadt steckt. Ich bin voller Respekt den Menschen gegenüber, die in größter Armut Ihr Leben bestreiten und in Umständen zurecht kommen, die ich in diesem Leben um nichts auf der Welt zu meistern fähig wäre. Liebe Grüße nach daheim, Eure Christina...