Erste Woche in Port Antonio

28.August 2009 - Port Antonio


Wie schnell die Zeit vergeht! Seit Montag abend sind wir hier, und schon ist wieder Freitag, Wochenende und noch mehr Freizeit, als wir die Woche über schon genossen haben.

Unser Gepäck kam doch noch an: Dienstag morgen um 3 Uhr! Als wir morgens, auf dem Weg zum ersten Famulaturtag, schon beinahe mutlos an der Rezeption nachfragen, überlegt man dort kurz, dann erinnert man sich, ja, da ist was gekommen: unsere vier Koffer! Wir sind selig und nutzen die Gelegenheit, seit Samstag endlich wieder frische Sachen anzuziehen. Trotz dieser Ablenkung erreichen wir kaum verspätet das Krankenhaus, nachdem wir einer kurvigen Bergstraße hinaufgefolgt sind, dankbar die einheimischen Hinweise entgegennehmend.
Das Krankenhaus selbst ist klein, aber fein: Ein großer Ambulanzbereich (Outpatient Clinic, OP) ist täglich gut gefüllt, hier wechseln sich Medical Officers (Internisten) und Surgical Officers (Chirurgen) ab, daneben gibt es Augen- und Gynäkologiesprechstunden. Ein kleiner Röntgenbereich, ein gutes Labor. Im Nebengebäude zwei Etagen, unten A&E (Accidents and Emergencies, also "Notaufnahme"; jedoch stellen sich die meisten "Notfälle" eher harmlos ein: Knieschmerzen, Gelenkschwellungen, ein im Ohr verschwundenes Wattestäbchen...), daneben der Medical Ward (Männlein und Weiblein jeweils getrennt in einem großen Zimmer, nur durch Vorhänge bei Bedarf (z.B. Untersuchungen) voneinander abgeteilt. Oben das gleiche Bild für die Chirurgie, zusätzlich dort das Operating Theatre (der "eigentliche" OP). Was gleich auffällt: keine Spur von dem Siechtum und den typischen Krankenhausgerüchen, die man sich aus den Geschichten von Tropenmedizin vorstellt... zum einen ist die Station durch die Berglage und großzügige Fenster exzellent durchlüftet, zum anderen legen die Jamaikaner, wie wir später erzählt bekommen, großen Wert auf Hygiene; tatsächlich ist es in vielen deutschen Krankenhäusern deutlich weniger angenehm auszuhalten.

Was wir auch merken (Ja, es ist Cliché, aber es stimmt!): Hier ist alles entspannter. Hier kommen die Ärzte auch mal eine Stunde zu spät auf Station. No problem, man! [Gesprochen: Nò próbblèmm, Mahn!]
Am eindrücklichsten erfahre ich die Gelassenheit am Donnerstag: Auf der Ward Round, der Stationsvisite, diagnostiziert der Arzt bei einer Patienten eine Eileiterschwangerschaft, nachdem er probehalber mit einer Spritze aus dem Bauchraum etwas frisches Blut ablässt (Ultraschall gibt es nur in der Stadt unten und muss von den Patienten selbst bezahlt werden). Er studiert das Blut im Röhrchen im Gegenlicht und gibt eine Schätzung des Haematokrit auf 2 Prozentpunkte genau an. Dann ordert er Blut und die OP... und dann macht er erst mal die Visite fertig. Ein zwei andere Ärzte schlendern dazu, bestätigen die Diagnose. Ich bin etwas ratlos: würde man die Patientin in Deutschland nicht notfallmäßig in den OP rollen? Schließlich hat sie beinah die Hälfte ihres Blutvolumens in den Bauchraum verloren? (Tatsächlich saugen sie später > 2,5 Liter ab)

Bis operiert wird, vergehen aber noch ca. 2 Stunden. Kein Zeichen von Unruhe, Eile. Bis zu dem Moment, als sie den Bauch wieder erfolgreich zunähen, macht alles den Eindruck einer Wahloperation. Im Operationssaal schallt gemütliche Popmusik, der Standventilator summt, die Atmosphäre ist entspannt, fast fröhlich. Der Anästhesist verlässt schon nach einer halben Stunde den OP, vielleicht geht er Kaffee trinken, wer weiß. "Aufwachraum" ist der Zwischengang, in dem das Personal fröhlich und laut plaudert; irgendwann wird wieder auf Station gerollt.
Wir sind baff. Es geht auch so.

Unsere zuständige Ärztin, Doctor Hall, ist eine super freundliche, Ende vierziger weiße, waschechte Jamaikanerin. Allein beim Patientengespräch zu zu hören ist eine Erfahrung. "How you keepin', Daddy? How'd you pass the doodle?" :) Wir fühlen uns gut aufgehoben, sie erklärt und fragt, zeigt uns nebenbei das Krankenhaus und stellt uns dem bunt gemischten Personal vor: Ärzte aus Indien, Kuba, aber auch Jamaika. Schwestern in weiß mit niedlichem weißen Stoffhütchen auf dem Kopf.

Wir bilden uns fort in jamaikanischen Umgangsformen: essentielle Antwort, die man bei jeder adäquaten Situation (unendliche Anwendungsmöglichkeiten!) parat haben sollen: "Ya, man!", seltener auch "Yes, man!" [sprich: Jah, Mann!/Jess, Mann!] Dieser Ausdruck der Zustimmung und Bestätigung überbrückt alle Schranken des Soziolektes, Arzt zu Patient, Patient zu Arzt, Straßen-Hustler zu Tourist, weltgewandter Tourist zu Rastamann... Ya, man!

Weitere wichtige Vokabeln:

No problem / Jamaica no problem!
- Ausdruck der eigenen Entspanntheit oder der allgemeinen Überzeigung, das alles kein Problem ist. Häufig verwandt. :)

Patty
- kleine Teigtaschen, Rindfleischfüllung. Muuh, lecker!

Jerk chicken/pork/lobster/fish
- jeweiliges Fleisch mit spezieller Gewürzmischung ("Jerk"), dazu Reis mit Bohnen oder geröstete Brotfrucht

Soon come!
- Komme gleich ;)

I'm a designer/maker from Jamaica/artist!
- Ich bin ein Tandverkäufer und möchte dir was verticken. Schau mal, ich hab auch was mit roten Kaffeebohnenperlen!

How much? Oh, you know, you take care of me, I'll take care of you.
- Wenn ich dich irgendwo hinfahre, versuch ich mal, dir statt 300 Jamaican-Dollar (~3?) gleich 40 US$ für die Fahrt abzuzocken (wenn du drauf reinfällst).

Wo wir diese Vokabeln gelernt haben und was wir alles AUSSERHALB des Krankenhauses erlebt haben, das alles erfahrt ihr beim nächsten Mal wenn es wieder heißt: "Ya, man! Jamaica no problem!"