im Zug

23.July 2011 - unterwegs


Im Zug

"Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie auf unsere Fahrt nach Stuttgart und wünschen Ihnen eine angenehme Reise." Ich will zwar nicht nach Stuttgart, aber zum Flughafen nach Frankfurt und eigentlich dachte ich, ich würde mindestens zwei von vier Stunden heulend im Ruhebereich verbringen. Doch es ist wie immer im Leben - es kommt alles anders.

Während so einer Zugfahrt lernt man Menschen und ihre Geschichten kennen, ganz ohne Scheu in einer Momentaufnahme, die nie wiederkommt, weil man sich nie wiedersieht oder sich zumindest nicht erkennt, sollte dies wider erwartend doch geschehen.

Da ist die Hamburgerin Mitte 50, die ihre Eltern in der Nähe von Paderborn besucht und hofft, in Hannover ohne Probleme umsteigen zu können. Sie wird mit ihren Eltern zur Kirmes gehen, sich in einer langen Schlange anstellen, um Kaffee und frische Waffeln zu kaufen, weil sie das jedes Jahr tut und sie weiß, wie viel es ihren Eltern bedeutet, denn dieser Tag gehört diesen drei Menschen. "Es wird jedes Jahr ein bisschen schwerer, weil beide gehbehindert sind und außerdem sind sie schon über 80, aber sie freuen sich doch so und kommen mal raus. Das muss einfach sein.", sagt die Hamburgerin, lächelt mich an und ich lächel zurück. Sie hofft, dass es nicht regnet, denn dann können sie nicht hingehen. Sie ist außerdem stolz auf die Enkelin ihres Mannes, die mit 20 genau weiß, was sie will und so viele Träume hat, dass nichts und niemand sie aufhalten kann. "Sie hat ein Praktikum auf Hawaii gemacht und nun möchte sie für ein Jahr nach England, um mit behinderten Menschen zu arbeiten und dort ihr soziales Jahr zu machen. Danach möchte sie vielleicht noch Erzieherin lernen, eine Weltreise machen und dann..." Ich muss lachen. Diese Enkelin ist mir sehr sympathisch und es freut mich, dass sie sich das Träumen erlaubt und alles dafür tut, um alles zu erleben. Sie erinnert mich ein bisschen an mich.

Da ist der 20jährige Bundeswehrsoldat, der zuerst eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht hat, um dann festzustellen, dass sein Leben die nächsten Jahre nicht so aussehen soll und er zu jung ist, um jeden Tag 12 Stunden in einem Laden zu stehen, der ihm nicht gehört und der ihn nicht weiterbringt. "Und wie geht´s dir jetzt beim Bund?". "Das ist ja jetzt sowieso alles freiwillig, aber nach den sechs Monaten Bund dachte ich, dass das genau das Richtige für mich ist und nu hab ich mich verpflichtet. Nächstes Jahr geh ich dann nach Afghanistan." "Musst du oder willst du?". "Ich muss. Naja, gehört halt dazu. Weiß man ja auch vorher. Wird wahrscheinlich keine leichte Zeit, aber bis dahin dauert´s ja noch und dann isses ja nicht so lange." Ich hab das Gefühl, er sagt es mehr zu sich selbst als zu mir. "Hast du Angst?". "Neh, also nicht wirklich. Ich bin ja im Panzer-Bataillon und die schicken da jedes Jahr so viele hin, warum soll mir da was passieren?". Ich schau ihn an, während er das sagt und ich glaube ihm nicht. Er ist 20, wird dann 21 sein und geht in ein Land, in dem es noch unsicherer ist als in meiner neuen Heimat. "Wenigstens ist da dann ordentlich Sommer." Wir lachen beide und ich höre ihm zu, als er mir erzählt, wie schwer es ihm manchmal fällt, sich von seinem Kameraden zu verabschieden, nachdem sie wochenlang zusammen gewesen sind. "Ich weiß, dass es blöd ist, vor allem nach so kurzer Zeit und dass es dazu gehört, aber irgendwie fühlt sich das dann ganz komisch an und dann will ich einfach schnell weg." Er erinnert mich sehr an mich.

Da ist der Typ Mitte 20, der einfach nur zuhört, nichts sagt, aber immer wieder lächelt und mit lacht, wenn alle anderen lachen. Irgendwann holt er seinen Mp3-Player heraus, macht die Augen zu und träumt sich woanders hin. Wie oft hab ich das schon getan?

Außerdem ist da der Typ, der seinen Laptop auf dem Schoß hat und sich Filme anschaut, ohne wirklich hinzusehen. Er schaut immer wieder nach draußen oder zum Gang. Er lacht nicht, lächelt nicht einmal. Er kontrolliert die Ankunftszeiten auf dem Fahrplanflyer und seufzt. Noch vor zwei Stunden hätte ich geglaubt, so im Abteil zu sitzen, aber nun habe ich meinen Laptop auf dem Schoß und freu mich, dass alles anders kam, als ich dachte.

Wie oft begegnen wir uns wohl selbst ohne es zu merken?