Seegras

09.October 2009 - Blenheim


Am nächsten Morgen ließ ich erneut eine Tour durch die Fabrik über mich ergehen, offensichtlich wusste man nicht, wohin die neuen Arbeitskräfte geschickt werden sollten. Nach etwa zwei Stunden wurde dann allmählich aufgeteilt. Ich durfte Seegras aus den Muscheln pulen.
Was nach einer harmlosen Beschäftigung klingt, ist das wahrscheinlich ekligste, was ich je gemacht habe. Die Muschel liegen auf einem riesigen Fließband, das übrigens eine gitterähnliche Oberfläche hat, sodass man unter dem sich nach links bewegenden Band das nach rechts zurücklaufende Band sehen kann, was mir ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Nachdem der größte Teil der Muscheln von anderen Arbeitsbienen geöffnet wurde und das Fleisch nur auf einer halben Schale lag, kam mein Teil der Arbeit. Zunächst musste die Person, die ganz oben am Band steht, die Muscheln möglichst gleichmäßig übers Band verteilen. Alle anderen durften dann nach Herzenslust wahlwiese beschädigte Schalen heraus sammeln, Krebse und anderes Getier, das gottseidank schon tot war, vom Fließband sammeln oder, meine absolute Lieblingsaufgabe, Seegras herausholen.
Das funktioniert folgendermaßen. Muschelfleisch hat zwei nennen wir sie mal Lippen. Zwischen denen befindet sich ein etwa kirschkerngroßer dunkelbrauner Gnubbel, von dem ich annehme, dass die Muschel damit Nährstoffe aus dem Wasser filtert. Überall um diesen Gnubbel herum befindet sich Seetang und anderes grünes, gelbes oder braunes Algenzeug, das entfernt werden muss, weil es wahrscheinlich noch weniger lustig als die Muschel selbst schmeckt. Manchmal, und das war mein absoluter Favorit, hing das weiße Muschelfleisch halb aus der Schale heraus. Dann musste man eine andere Muschelschale nehmen und vorsichtig das Fleisch aus der Schale kratzen. Sinn der Übung ist, den Muskel, mit dem sich das Fleisch an der Schale festhält und die Schalen zusammenhält, nicht herauszureißen.
Dieser Muskel war die absolute Krönung, er misst etwa einen Zentimeter im Durchmesser und ist etwa zwei Zentimeter hoch. Die Konsistenz erinnert an getrockneten Kaugummi. Allerdings getrocknetes Kaugummi von der ekligen Sorte, faserig und unangenehm fest im sonst schlabberigen wabbligen Muschelfleisch. Dies alles gepaart mit penetranten Geruch nach ranzigem Fisch, Lärm und der Bewegung des Fließbandes machten den ersten Tag in der Muschelfabrik zum schlechtesten meines Lebens.