Geld regiert die Welt

02.April 2012 - Singapur


Unmöglich. Unmöglich, bei dieser Hitze Schlaf zu finden. Also stehe ich auf und mache mich auf den Weg, wieder hinein ins Getümmel Singapurs. Und Getümmel ist das richtige Wort. Diese Stadt riecht nach Arbeit (ok, und nach Essen), überall sieht man Menschen wuseln, denen man ansieht, dass sie sehr beschäftigt und/oder sehr wichtig sind. Überall wird gebaut, geputzt und vor allem telefoniert. Gleiches gilt für den Verkehr, ein ziemlich geoordnetes Chaos. Warum haben Menschen bei dem super ausgebauten Ubahnnetz überhaupt ein Auto. Und hier fahren nicht nur irgendwelche Autos rum, nein, die neuste Generation an teuren deutschen Marken bevölkern die Straßen in einer Anzahl, wie ich sie wirklich noch nie zu Gesicht bekommen hab. Ungelogen jedes zweite Auto ist ein neuer BMW, Merzedes oder Audi. Neben den Flagschiffen der gesamten Autoindustrie fallen die Bentley (!) Taxis überhaupt nicht auf.
Die Autos sind ein erstes und ziemlich starkes Indiz, in Singapur hat man Geld und macht man Geld. Das Zentrum der Südostasiatischen Finanzmacht ist auf dem aufsteigenden Ast und dieses Gefühlt bekomme ich nun an jeder Ecke zu spüren, als ich meinen zweiten Rundgang an diesem Tag nicht gen Norden, sondern gen Süden richte. In Richtung des Finanzzentrums, der ?Wall Street? dieses Stadtstaates.
Obwohl es schon relativ spät am Abend ist, rennen hier die Leute kreuz und quer, alle in teurem Anzug und Smartphone am Ohr. Eine Armada an Bänkern, Managern und Geschäftsleuten strömt um mich herum, bereit, alles niederzureißen, was ihnen im Weg steht. Zeit ist schließlich Geld. Und nicht zu knapp. Über das Jahreseinkommen hier kann man nur spekulieren. Da reicht es schon, sich die Arbeitsplätze anzuschauen. Ich bin umzingelt von Wolkenkratzern, einer höher als der andere, manche monumental und zeitlos gebaut, andere filigran und architektonisch revolutionär gestaltet. Und ganz oben sitzen Persönlichkeiten, die über so viel Geld und Macht verfügen, wie man es sich als Normalbürger gar nicht vorstellen kann. Von hier aus werden die Geschicke der (Finanz)Welt geleitet.
(Ich habe gerade eben etwas gehört, was mich sehr geschockt hat. Es ist in Singapur scheinbar nicht unüblich, das Menschen über Monate und Jahre 16 Stunden am Tag, sechs oder sieben Tage die Woche arbeiten. Kein Privatleben. Kein Gedanke an die eigene Gesundheit. Alles für Geld und Karriere. So kommt man an die Spitze)

Ich fühle mich ganz erschlagen davon und doch bin ich mehr als beeindruckt. Die Ähnlichkeit zu der New Yorker Finanzwelt ist unverkennbar, doch hätte ich die Wahl, so würde es mich hierher ziehen, alles wirkt irgendwie frischer, motivierter, der asiatische Einfluss ist unverkennbar.

Und das liegt nicht nur an der schieren Überzahl. Ich habe mich als Kaukasier noch nirgendwo so fehl am Platze gefühlt wie hier. Mehr als sonst prangt das Wort ?Tourist? auf meiner Stirn. Ich scheine wohl so außergewöhnlich zu sein, dass ich in Little India sogar Fotoobjekt wurde?


Mein Magen knurrt. Immer noch unfassbar beeindruckt verlasse ich diese Welt der Prunks, der goldenen Hausüberschriften und teuren Läden, wo sogar die Straßenüber-/untergänge in Marmor ausgekleidet sind. Es zieht mich noch weiter südlich, in eine komplett andere Welt. Ich betrete Chinatown.
Inzwischen ist es stockdunkel, ich werde vom Licht der am hellsten leuchtesten Straße angezogen, Smith Street (welcher Name könnte weniger passen in Chinatown). Diese Straße lebt nachts erst richtig aus, sobald die chinesischen roten Laternen aufleuchten, kommen die Leute aus ihren Löchern und verkaufen was das Zeug hält. Die Menschenmenge wird rechts von unzähligen kleinen Läden flankiert, die alles verkaufen, ob chinesisch oder nicht ? man kann hier sowohl die typischen ?I love Singapore?-T-Shirts als auch chinesische Essstäbchen im zehner-Pack erwerben ? auf der gegenüberliegenden Seite kann man dann seine erworbenen Mitbringsel mit einem echten chinesischen Mahl vom Straßenstand feiern. Das lasse ich mir nicht entgehen, ich schlage zu. Mein Abendessen schmeckt richtig gut, auch wenn ich bis heute nicht weiß, was ich da gegessen habe. Irgendein Fleisch, eventuell Schwein, mit teils eigenartiger Konsistens, eingelegt in Soyasauce und als Beilage der obligatorische Reis. Es hat sehr gut gesättigt und gleichzeitig nicht zu voll gemacht. Kein Wunder, dass die Asiaten alle so furchtbar dünn sind.

Den Rückweg von der anderen Seite der Stadt lege ich am Wasser zurück. Ich wandle durch die Dunkelheit? Nein, eigentlich nicht. Dunkelheit ist der falsche Ausdruck, der Himmel ist dunkel, doch ansonsten ist alles erleuchtet. Singapur bei Nacht ist eine vollkommen andere Stadt. Manche Läden schließen, manche Straßenstände öffnen erst, wenn die Sonne verschwindet. Die Menschen lassen sich vom Feierabend hinaus aus dem Büro und hinein in die Restaurants und Bars der Stadt tragen. Die Stadt wird eine andere.
So wandele ich am Hafen (eigentlich ist es kein Hafen, einfach nur eine große Wasserfläche in der Stadt) entlang und genieße den Blick auf die Skyline Singapurs. Es stimmt, die Stadt ist schöner bei Nacht. Bei Tag mächtig und monströs, so werden die Wolkenkratzer bei Nacht Teil des Sternenhimmels, ein Anblick, der verzaubert. Schließlich gelange ich zur Front eines der berühmtesten Hotels der Welt, des Marina Bay in Singapur, geformt wie ein schwebendes Schiff und bevölkert von unbezahlbaren Zimmern. Doch ich fühle mich dazu verleitet, hier ein bisschen zu verweilen und einem Jazzduo zu lauschen, das mit seinen Klängen die Nacht beschallt. Denn vor diesem Hotel kann man jeden Abend dem Spektakel einer Lasershow über den Wassern des Hafens mit der Stadt im Hintergrund beiwohnen. Was ich mir natürlich nicht entgehen lasse. Ein wahres Feuerwerk aus Licht, Musik und Wasser, durchkomponiert bis zum kleinsten Detail, eine echte Sehenswürdigkeit.

Immer noch berauscht trete ich den Rest meines Heimwegs an, gönne mir im Hostel noch einen Cookie, einen raschen Blick auf den PC und dann die einsame Stille meines Zimmers, das ich heute Nacht ganz für mich alleine haben werde?