Dieser Weg...

09.March 2012 - Mt. Cook


Hey, es wird nach Wochen mal wieder Zeit für ein Lied. Zu dem Tag heute passen zwei Lieder wie die Faust aufs Auge. Zum einen ?Dieser Weg (wird kein leichter sein, er wird steinig und schwer)? von den Söhnen Mannheims, man kann schon raten, warum, zum anderen ?Rise up? von Six60, einer tollen neuseeländischen Band, warum wird am Ende deutlich.

Nach Wochen des legèren Lebens in Queenstown wird es mal wieder Zeit, mich früh aus dem Bett zu quälen und zum Bus zu wanken. Meine drittletzte Fahrt mit Stray steht an, ich verlasse die ?Adrenalin-Hauptstadt? in Richtung Mt. Cool, dem höchsten Berg Neuseelands. Sie führt uns durch die so bekannte Alpine Landschaft der ?Südlichen Alpen?. Inzwischen ist der Anblick dieser wunderschönen Berge wie der gesamten Landschaft Neuseelands zur Gewöhnung geworden. Eigentlich ist es sehr schade, während ich am Anfang aus dem Schwärmen nicht mehr herauskam, so ist der selbe Anblick nun zur Routine geworden, nichts Besonderes mehr, man hat sich einfach daran gewöhnt. Das wird der Südinsel und Neuseeland im Allgemeinen absolut nicht gerecht, doch es ist leider nicht zu ändern, auch wenn ich mir dessen bewusst geworden. Doch ich würde wieder daran erinnert werden, welch ein besonderes Land ich doch bereise.

Mit eineinhalb Stunden Verspätung kamen wir gegen drei Uhr kamen wir in Mt. Cook Village an, wo wir sogleich unsere für Hostelverhältnisse überzogen teuren Zimmer bezogen. Die Verspätung war meinem Plan nicht gerade förderlich. Ich hatte für den heutigen Tag meine letzte Wanderung in Neuseeland geplant, einen Berg gegenüber Mt. Cook hoch, hinauf zur ?Mueller Hut?. Diese Wanderung ist eigentlich für zwei Tage angesetzt, jeweils etwa 4 Stunden. Da ich jedoch nur einen Nachmittag zur Verfügung hatte, musste ich mich ziemlich beeilen. Fix zum DOC, einen Plan aufgabeln und den Aufstieg beginnen. ?Nein, tun Sie das bloß nicht, das ist viel zu gefährlich, das schaffen sie nie, bevor es tiefste Nacht ist und dann verletzten Sie sich noch und wir müssen Sie suchen, ich kann Ihnen nur sehr dringend davon abraten, den ganzen Weg heute zu versuchen.? Das war die Reaktion, die ich bekam. Doch da muss schon mehr kommen, damit ich mich von dem Ziel abbringen lasse, heute noch meinen letzten Gipfel in Neuseeland zu besteigen. Wenn es dunkel ist, dann nehme ich halt eine Taschenlampe mit, so einfach ist das.

Auf auf, der Berg ruft. Doch vor dem Berg muss ich zuerst die paar Kilometer zum Fuße zurücklegen. Im Laufschritt marschiere ich durch die Landschaft, gerade hier kann man wunderbar Zeit gutmachen. Von einer auf die andere Sekunde wechselt die Landschaft, der Anstieg beginnt, was man schön an den orangenen Pfeilen lesen kann. Normalerweise. Dieses Mal hören sie einfach auf, also folge ich einfach mal dem scheinbar regelmäßig genutzten Weg. Oho, siehe da, der Weg wird mich über einen alten Bergrutsch führen, na so mag ich das. Besonders die kleinen Kletterpassagen zwischendrin. Die werden sogar immer anspruchsvoller, wer hätte das gedacht. Ich muss mir richtig Mühe geben, um da hochzukommen. Irgendwas stimmt hier nicht. Vollkommen sicher über diesen Umstand war ich, als ich vor einer zwei Meter hohen Felswand stand und links und rechts keinen Weg drüber oder dran vorbei fand. Das kann nicht der offizielle Weg sein, ich hatte seit langer Zeit kein Schild mehr gesehen. Doch wohin geht es denn jetzt? Zu meiner Rettung kam ein Schnaufen. Ich lauschte. Da war jemand, sogar ziemlich unweit von mir. Jemand, der klingt, als würde er gerade ziemliche Anstrengungen erledigen, wie zum Beispiel einen Berg hoch zu gehen. So folgte ich dem Geräusch und kletterte einige Meter hinab. Und tatsächlich, als ich mich durch einen Busch gekämpft hatte, sah ich sie. Treppen. Ich war wirklich nur fünf Meter neben dem eigentlichen Weg gelandet und hatte mich anstatt die Treppen zu benutzen, einen Felsrutsch hochgekämpft?
Diese kleine Unterbrechung vergessend machte ich mich daran, die Treppen zu erklimmen. In meiner Ansicht nach gibt es beim Wandern kein schlimmeres Terrain als Treppen. Jedesmal entfährt mir ein lautes Stöhnen, wenn ich schon wieder ein paar entdecke. Doch es führt ja kein Weg daran vorbei, das habe ich ja schon gemerkt. So quäle ich mich weiter den Berg hinauf, die Sonne im Nacken und den Schweiß in den Augen. Ich fühle mich, als käme ich einfach nicht vorwärts, vor jedem neuen Treppenabsatz heule ich laut auf. Wann sollte die Quälerei endlich ein Ende haben?

Endlich sah ich etwas, was mir eine Menge Motivation lieferte. Einen kleinen Tümpel auf dem Berg, der mir zeigte, dass ich endlich die Hälfte des Weges hinter mir hatte. Ein guter Ort, um mir 10 Minuten Pause zu gönnen, egal, wie wenig Zeit ich (angeblich) nur habe. Ich bin so verschwitzt, dass ich gleich mein T-Shirt ausziehe, es bringt eh nichts, fühlt sich nur eklig an. Man tut das gut, einfach nur zu sitzen?

Doch ich kann es mir nicht erlauben, allzu lange zu warten, die Zeit rennt mir davon, ich weiß nicht, wie lange ich noch für den weiteren Weg rauf brauche. Also muss ich mich zwingen, weiter zu gehen. Die Möglichkeit, hier um zu drehen, ließ ich sogleich außer Acht.
Der Weg bis zu den ?Seen? war sehr gut ausgebaut, fast immer gab es Treppen oder zumindest einen guten und breiten Weg. Das sollte sich jetzt ändern. Ab jetzt galt die Devise, da ist der Gipfel, such dir deinen Weg hinauf. Die groben Orientierungsmarker waren zwar da, aber die halfen einem auch nicht beim Klettern. Denn das musste man ab hier. Der gesamte Berghang war ein einziges Trümmerfeld aus mehr oder weniger großen Felsbrocken mit einer Menge lockerem Schotter dazwischen. Ich kam bei weitem nicht mehr so schnell vorwärts, wie am Anfang, ich musste jeden meiner Schritte sorgsam setzen, um nicht auszurutschen. Das macht zwar Spaß, zehrt aber am Willen und am Körper. Jeder Schritt war ein Kampf mit mir selbst, der innere Schweinehund, die mich zum Aufgeben bringen wollte, bellte immer lauter. Ich musste mich immer wieder neu motivieren, bei jedem einzelnen Schritt von neuem. Der ständige Anblick des Mt. Cook hinter mir half. Immer weiter kämpfte ich mich den Berg hinauf, der inzwischen ähnlich steil wie der Mt. Doom war, also bestimmt 45° Steigung. Doch ich ließ mich nicht aufhalten. Ich bewies es allen, dem Berg, meinem Schweinehund und vor allem mir, dass ich das auch schaffen kann.
Und ich habe es geschafft. Unter dem tosenden Beifall der Lawinen in den umliegenden Bergen erreichte ich die Mueller Hut. Rechtzeitig im Tageslicht. Und dem Sonnenstand nach zu urteilen, blieben mir noch etwa 1,5 Stunden, bis die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Da konnte ich mir eine Pause gönnen. Der Berg und die Aussicht möchten schließlich gewürdigt werden. Man sieht ja nicht immer einen 3000er so nahe, an dessen Fuß sich ein Gletscher seinen Weg bahnt, umfasst von Bergen, an denen mit erschreckender Regelmäßigkeit Lawinen abgehen. Ein würdiger, letzter Aufstieg.

Nach 30 Minuten schaute ich erstaunt auf die Uhr und fuhr erschrocken hoch, es wurde Zeit, zu gehen. Mir war es vollkommen egal, ob ich die Treppen im Dunkeln runter gehen musste, dafür hatte ich ja eine Taschenlampe. Doch ich wollte unter keinen Umständen das Geröll hinuntersteigen, ohne ordentlich zu sehen. Das ist bei Tage schon gefährlich, in der Nacht wäre es unverantwortlich. Der Abstieg ist immer eine ganz andere Herausforderung als der Aufstieg. Letzterer fordert hauptsächlich die Kondition, während es runter darum geht, sich nicht den Hals zu brechen. So musste ich die Balance zwischen schnell und sicher suchen, da vorsichtig gehen, wo es angebracht ist und rennen, wo es geht. Und ich schaffte es. In der Ferne sah ich die Schatten der Berge immer länger werden, doch ich hatte die Seen erreicht. Ab jetzt ging es mehr oder weniger sicher dank Treppen den Berg hinab. Doch gepusht vom Adrenalin machte ich auch jetzt nicht langsamer, nein, im Gegenteil, der Rest meines Mountain Dews (das den Namen wirklich verdient, ohne den vielen Zucker wäre ich da wohl nicht hoch gekommen) gab mir noch mal den Schub, um auch die Treppen runterzuhasten und sogar, die Uhr im Blick, inzwischen ging es für mich darum, eine gute Zeit herauszuschlagen, die letzten ebenen Kilometer zum Dorf im Laufschritt zurückzulegen. Ich weiß nicht, woher ich noch die Reserven hatte, doch ich hatte sie. So habe ich es tatsächlich geschafft, die Wanderung anstatt in acht Stunden, in vier ein halb zu absolvieren, komplett im Tageslicht. Und das bei einer Steigung, bei der es nur vier Kilometer weit aber 1,5 Kilometer hoch geht. Ich glaube, da kann ich stolz drauf sein.

Der Abend war verständlicherweise kurz, duschen, essen, Sonnenuntergang am Mt. Cook schauen, Bett, schlafen.