Stille

23.February 2012 - Stewart Island



Das inzwischen so vertraute Prozedere der Vorbereitung auf eine Wanderung lief ohne Probleme ab, sodass ich ohne Stress in den Bus einsteigen konnte, der mich an den Hafen bringen würde. Der Weg dahin war mir bekannt, den hatte ich schon auf dem Road Trip zurückgelegt und so hatte ich keine schlechtes Gefühl, dass ich mich in einem Buch vergrab, anstatt meine Augen auf die Landschaft oder den mal-wieder-grauen Himmel zu richten.

Und schon waren wir in Bluff angekommen, von wo meine Reise auf die kleinste der drei neuseeländischen Inseln beginnen würde. An Bord des kleinen Gefährts, dass uns rüber bringen würde, stellten sich meine beiden Tischnachbarn natürlich auch als Deutsche heraus. Deren Vorhaben war es, nicht nur den Great Walk zu machen, das kann ja jeder, nein, sie würden ein wenig mehr ins Landesinnere gehen und sich quer über die Insel schlagen, aller Warnungen über knie-oder hüfthohen Schlamm ließen sie kalt. Auf Stewart Island gibt es nämlich einige Wanderwege neben dem Great Walk, manche von ihnen bis zu zehn Tage lang. Auch wenn ich mit dem Gedanken spielte, mich ihnen spontan anzuschließen, doch das war mir mit meinem Zelt fiel zu ungemütlich und zu lange. Das muss ich nicht alles auf mich nehmen, nur um ein paar Kiwis zu sehen. Die sieht man ja angeblich auch überall auf der Insel und sogar bei Tageslicht, angeblich...

Im Bus hatte ich mir eigentlich vorgenommen, einmal ein paar Tage Auszeit von anderen Menschen zu nehmen, dem Vorbild eines Schweigeklosters folgend einfach mal ein paar Tage nicht reden. Was wäre da wohl besser, als ein wenig populärer Wanderweg auf der südlichsten Insel Australasiens mit ganzen 300 Einwohnern. Das wäre bestimmt auch eine sehr interessante Erfahrung, ich hatte da schon viel Gutes von gehört. Leider war ich nicht konsequent genug und brach es direkt am Anfang und unterhielt mich nicht nur während der leicht turbulenten Überfahrt mit den beiden, sondern sie begleiteten mich auch auf dem Weg zu meinem ersten Campingplatz. Vorher jedoch füllten die beiden eine sogenannte ?Attention Form? aus, eine Sicherheitsmaßnahme, damit man weiß, dass sie den Track unternehmen und das jemand das DOC alarmiert, wenn sie nicht rechtzeitig zurückkehren. Ich offerierte mich als zweite Sicherheit, wenn sie mir nicht rechtzeitig wieder ein Lebenszeichen sendeten, würde ich nach ihnen suchen lassen. Das gab mir doch zudenken und ich richtete so etwas auch für mich ein. Bisher war zwar nichts passiert, aber man muss ja gerade auf dem einsamsten Track nichts herausfordern. Der letzte Great Walk meinerseits und vielleicht sogar die letzte Wanderung konnte beginnen.
Ich war dann doch sehr froh um ihre anfängliche Gesellschaft, als sich mein Campingplatz als einfaches ?Nichts? im Wald darstellte. Es gab eine Toilette und sonst nichts, keine große Lichtungen fürs Zelt, keinen Shelter, noch nicht einmal Wasser. Zum Glück regnete es den ganzen Tag leicht und die Sonne schien nicht, sodass ich nicht sonderlich schwitzte und mein Wasserverbrauch kaum erhöht war. Das würde noch bis morgen reichen, wo ich an der nächsten Hütte die Vorräte aufstocken konnte.
So absolut abgelegen machte ich mir wenig Hoffnung, das hier jemand vorbeikam und so beschloss ich, jetzt mit meinem ?Worte-Fasten? zu beginnen. Nachdem ich meine einsame Bastion aus grünen Plastik und sogar einen Shelter (Unterstand) aus einer wasserdichten Plane gebaut hatte (das dauerte etwas, da meine Knotenkünste gegen Null streben), nahm ich noch schnell mein Abendmahl im Hellen zu mir, bevor die Dämmerung mir die gute Sicht nimmt.
Man hatte sie den ganzen Tag nicht gesehen und doch merkte man ihre Abwesenheit erheblich. Ohne Sonne wurde es rasch kalt. Zwar war ich mit genügend dicken Kleidern dagegen gewappnet, doch mit einer solchen Kälte hätte ich nicht so schnell gerechnet. Jetzt wurde mir klar, was es bedeutet, jetzt steht nichts mehr zwischen dir und dem Südpol. Das hieß nur eins, ich musste mich bewegen. Da ich mich noch nicht müde genug für das Bett fühlte, erkundete ich im letzten verbleibenden Dämmerlicht den nahe gelegenen Strand, komplett in Vollmontur mit dicken Socken, Mütze und Handschuhen. Und genoss die Stille. Eine Stille, die mich die nächsten beiden Tage begleiten würde.

Still war es auch, als ich erneut die Augen öffnete. Der nächste Tag war in aller Stille angebrochen, die Nacht mit kleineren stürmischen Windstößen hatte ein Ende gefunden. Und Stille war definitiv das Motto, unter dem dieser Tag stand. Die Personen, die meinen Weg kreuzten, ließen sich an einer Hand abzählen. Nichts störte die unglaubliche Ruhe, die Wolken von gestern hatten sich größtenteils aufgelöst und mit ihnen war jeglicher Wind verschwunden. Kein Rauschen einer Böhe in den Blättern, kein Fußgetrappel der nicht vorhandenen Tiere, selbst die Vögel, die hier in überdurchschnittlicher Zahl vertreten sind, hielten sich mit ihrem Gesang sehr zurück. Ich fühlte mich allein. Nicht einsam, aber allein. Allein im Wald. Das alles war sehr entspannend und befreiend, man bekommt den Kopf wunderbar frei und kann gut abschalten. Ich kann die Leute gut verstehen, die vor dem Stress der Arbeit Zuflucht in der Stille suchen.


Die eigentliche Wanderung an sich war eher unspektakulär, sie führte quer über die Insel über ein paar Hügel, doch keiner höher als 300m, also kein Vergleich zu den anderen Wanderungen. Der Wald Stewart Islands ist bemerkenswert ähnlichen zu einem ?normalen? deutschen Wald, nur, dass man anstatt der Nadelbäume auf Farne trifft. Gegen Ende der Waldetappe passiert man noch eine alte Sägemühle, denn vor 100 Jahren war die Holzindustrie der Grund, warum es überhaupt Leute auf diese Insel zog. So war auch der Strand, an dem mein heutiger Campingplatz lag, ein ehemaliges Lager der Arbeiter mit kleineren Überbleibseln aus der damaligen Zeit.


Der dritte Tag der Wanderung ist normalerweise für den Rückweg eingeplant. Doch da der Straybus nur zweimal in der Woche fährt und ich deshalb sowieso eine Nacht länger auf der Insel bleiben muss und der Campingplatz ganze fünf Dollar kostet, lege ich noch einen Stopp mit kleiner Tageswanderung ein. Ich sah mich auch gezwungen, mein eisernes Schweigen zugunsten der Höflichkeit zu brechen. Ich teilte mir mein Camp nämlich mit einem Jäger, der ein wenig Gespräch suchte, also unterhielt ich mich ein wenig mit ihm. Aus diesem kleinen Plausch erhielt ich ein paar wertvolle Tipps, wie man auf jeden Fall Kiwis sehen soll, hier auf der Insel. Einfach nur ganz leise sein und lauschen, dann könnte man das Nationaltier Neuseelands hier auch am Tage sehen. Also befolgte ich seinen Rat und schlich über die Wege zu einer entfernten Bucht, machte sogar Abstecher weit ab vom Weg, quer durch den Wald und über die Felsen des Strandes. Doch nichts. Ich war den ganzen Tag unterwegs, immer wieder überrascht von winzigen Regenschauern, in Gedanken bei den Kleidern, die ich zum Trocknen rausgelegt hatte, gab mir wirklich Mühe, wartete minutenlang bei dem kleinsten Quietschen der Bäume oder dem komischen Geräusch eines Vogels, doch nichts rührte sich, kein Kiwi ließ sich blicken, nicht die Spur. Ich wäre erfolgreicher gewesen, wenn ich ein Gewehr dabei gehabt hätte, ich lief nämlich zwei Rehen über den Weg. Der Jäger und ich hätten besser die Rollen getauscht, denn er hatte an diesem Tag mehrere Kiwis gesehen. Im Camp. Neben meinem Zelt. Es sollte wirklich nicht sein, ich hatte mir alle Mühe gegeben, alles vergebens...

Wenn ich schon keinen Kiwi gesehen habe, so war ich doch wenigstens noch einmal im Meer baden, was bei dieser Kälte bestimmt beeindruckender ist, als so einen doofen Vogel zu sehen, der eh nicht fliegen kann. Und einen schönen Sonnenuntergang konnte ich auch noch bestaunen.

Der vierte Tag meiner Rückreise war mal wieder relativ unspektakulär und schnell vorbei, keine drei Stunden war ich gewandert, da war ich schon im Hostel angekommen. Und hatte im Vorbeigehen laut Karte jedes bewohnte Haus der Insel bestaunt. Hier kannte wirklich jeder jeden. Das sagt eigentlich schon alles über diese Insel. Und dann war er geschafft, der mit 37km ziemlich kurze und doch mein letzter Great Walk vor meiner Heimreise, der Rakiura Track auf der dritten Insel Neuseelands. Ein guter Abschluss.

Das Hostel, indem ich mich glücklicherweise schon vorher eingebucht hatte, war ein gemütliches kleines Hostel, das komplett auf die Bedürfnisse der Kunden eingerichtet, die fast ausnahmslos vom Wandern zurückkehrten oder am nächsten Tag aufbrachen. Besonders freute ich mich über die heiße Dusche, die wirklich nötig war und unglaublich gut tat. Genauso wie das Abendessen, das allerdings leider alles andere als üppig ausfiel. Denn da ich ja noch genug Essen für die nächsten Tage mitnehmen musste, hatte ich mich auf Radikaldiät gesetzt. Doch jetzt wäre ich sehr froh, wenn ich etwas Ordentliches in den Magen bekommen würde, anstatt nur ein paar Toast mit Nutella...