Arbeiten...!

09.July 2011 - Tolga


Heyho,

3 Wochen in Tolga sind verstrichen und worin ich mich rückblickend (wieder einmal) bestätigt finde, ist, dass nichts, nie und nimmer so abläuft, wie man es geplant oder es sich gewünscht bzw. erhofft hat - im positiven wie im negativen Sinne.

Geplant, erhofft und von Gina, dem Hosteldrachen, zugesichert war, dass ich - wie im letzten Eintrag kurz erwähnt - für mind. 3 Monate einen Job im Metall verarbeitenden Gewerbe antrete - in einem Unternehmen, welches nach einer Art Steckkastensystem Fertighäuser aus eben jenem Material herstellt (und welches sich mit "SSS" abkürzt, was zumindest in unseren Breitengraden leicht als Affront aufgefasst werden könnte^^). Mal etwas ganz anderes für einen, der die letzten 5 Jahre in einem Büro verbracht hat. Frohen Mutes und voller Tatendrang erschien ich also am 22.6. an meiner neuen Arbeitsstelle. Und war überrascht. Die Tätigkeit stellte sich (im Vergleich zu anderen Jobs, die man als unqualifizierter Backpacker normalerweise ausübt) als durchaus anspruchsvoll heraus, war abwechslungsreich und teilweise auch wirklich anstrengend? 8,5 Stunden am Tag stecken, schrauben, bohren, nieten, hämmern und fluchen, weil Teil A nicht in Teil B passte. Es wurde weder langweilig noch war man den Elementen ausgesetzt und durfte immer schön im Schatten arbeiten. Und ich stellte mich auch nicht sooo dumm an, wie befürchtet. Ja ja, es hätte so gut laufen können? was es natürlich nicht tat. Zum Feierabend am Freitag meiner ersten Arbeitswoche, ich hatte gerade eine unbezahlte Überstunde geleistet, um meinen Einsatzwillen zu demonstrieren^^, rief der beiweilen cholerische Chef zu sich. "Markus, du brauchst am Montag nicht zu kommen. Am Dienstag auch nicht. Eigentlich gar nicht mehr." Bumm, das hatte gesessen... In einer Art Schockzustand packte ich meine Sachen, verließ die Fabrik und versuchte das erst einmal zu verdauen. Was war schief gelaufen? Bin ich wirklich zu dämlich für so ne Lakaienarbeit? Ernsthafte Selbstzweifel kamen auf. Die verzogen sich jedoch recht schnell wieder, als mich kurze Zeit später mein Arbeitskollege, halb Neuseeländer, halb Israeli, über die Situation aufklärte.

Es war wohl alles ein abgekartetes Spiel. Ursprünglich trat ich die Nachfolge eines anderen Backpackers aus unserem Hostel an. Mit dessen Arbeitsgeschwindigkeit schien Chefchen jedoch überhaupt nicht zufrieden gewesen zu sein, sodass er von Backpackern, die jeweils nur ein paar Monate bleiben und dennoch eingelernt müssen, wohl die Nase voll hatte und sich schon länger nach einem Einheimischen umschaute, der 1 Jahr oder länger dort arbeiten kann. In der Zwischenzeit benötigte jedoch einen "Lückenfüller" (mich), weil er eben in jener Woche noch einen relativ großen Auftrag abzuschließen hatte (deswegen auch die Überstunde). Am darauf folgenden Montag sollte dann der Einheimische seine Stelle antreten (ein Freund des Sohnes des Chefs - das sagt wohl alles). Tja, dumm gelaufen und wieder einmal ein großer Dämpfer in meine Auffassung, dass der Mensch grundsätzlich gut und uneigennützig ist? muss wohl doch etwas misstrauischer und weniger gutgläubig werden ;-)

Natürlich riss mir die Kündigung zunächst etwas den Boden unter den Füßen weg, war es doch die Aussicht auf - dringend nötiges - Einkommen, die uns nach Tolga, zum Arsch der Welt, geführt hatte. Nun war es also an Gina, die uns mit dem Versprechen auf langfristige Arbeit überhaupt erst hierher gelockt hat, Abhilfe zu schaffen. Und siehe da, bereits am Sonntag konnte ich einen Tagesjob auf einer kleinen und ziemlich heruntergekommenen Farm ergattern. Zusammen mit einem Franzosen musste allgemeine Garten- und Zaunbauarbeit für einen wortkargen Farmer, der zum Frühstück offensichtlich ne Valium zuviel geschluckt hatte, so wie der mit seinen Badelatschen durch die Gegend geschwoben ist, erledigt werden? na ja, war besser als Däumchen drehen und auch recht ordentlich bezahlt.

Am Sonntagabend - oh, Silberstreif am Horizont - eröffnete mir Gina, dass ab dem nächsten Tag eine "Poultry-Farm" mein neuer Arbeitsplatz für mindestens 2 Wochen sein solle. "Poultry? What´s that?" musste ich fragen. "You´re gonna work with chickens!" Mmmh, ein leichter Anflug von Zweifel ließ meine Gesichtszüge entgleisen. Hühnchen... Tommy, mein lieb gewonnener Ire, hatte mir von seinen Erfahrungen auf einer solchen Farm berichtet. Seine Aufgabe war es seinerzeit gewesen, kleine Küken, die nicht in ein vorgegebenes Auswahlraster passten oder krank waren, bei lebendigem Leibe in einen Fleischwolf zu werfen. Er meinte nur, es habe ihm nicht viel ausgemacht, weil ihm schon seit Kindesbeinen an ein paar Tassen im Oberstübchen gefehlt hätten. Aber wäre das nicht der Fall gewesen, wären die Tassen spätestens nach Ausübung dieses Jobs verschwunden...

Am nächsten Morgen machte ich mich entsprechend misstrauisch auf den Weg. Die Farm liegt ca. 45 km von unserem Hostel entfernt, was mich zuerst abgeschreckt hat, sich später jedoch als gar nicht mal so übel herausstellte. Meine derzeitigen Arbeitgeber hören auf die Namen Rum und Bun, sind Geschwister und unterhalten 5 bzw. 6 doch recht große Hallen, in denen jeweils 30 000 - 50 000 Küken/Hühnchen untergebracht sind. In jedem so genannten "shed" sind dabei Tiere unterschiedlichen Alters untergebracht, beginnend von ganz jung und nieeedlich in shed 1 bis groß und fett und fertig zum schlachten in shed 11. Nach einer kleinen Einführung durch Rum, einem wirklich netten und ungezwungenen Mitdreißiger, der mich sogar gefragt hat, ob ich mit dem angebotenen Stundenlohn zufrieden sei (der höchste, den ich bislang hier hatte!), lösten sich meine schlimmsten Befürchtungen in Wohlgefallen auf.

Sooo schlimm war meine Aufgabe gar nicht. Alles was ich zu tun habe, ist, tote Hühner aufzusammeln, auf einen Hänger zu laden und in eine Art Geflügelmassengrab zu kippen. Dafür schreite ich die Reihen ab und mache soviel Lärm wie möglich, um das Getier zu verschrecken und fortzutreiben, damit ich die leblosen Körper zwischen dem ganzen Geflatter überhaupt sehen kann. Es handelt sich um die Kolleteralschäden. Tot getrampelt, im Futterkorb verheddert oder einfach zu schwach gewesen, um sich gegen 49 999 Konkurrenten durchzusetzen. Pro shed kommen am Tag zwischen 20 - 50 Opfer zusammen, was an und für sich eine recht niedrige (und eingeplante) Quote ist. Zugegeben, es stinkt zur Hölle und ist manchmal recht eklig, vor allem wenn die Leichen schon länger als einen Tag liegen, weil man sie am Vortag übersehen hat. Gott sei Dank ist mein Magen nicht zimperlich. Der Anblick der leblosen Körper ließ mich immer wieder an die Simon Beckett-Bücher denken - wie verändert sich Geruch, Konsistenz und Aussehen von totem Gewebe über einen längeren Zeitraum betrachtet... ;-) Im Ernst. Der Job ist objektiv betrachtet kein schöner - aber er ist auszuhalten und ich hab den ganzen Tag lang Zeit, mir endlich mal meine Harry Potter-Bücher anzuhören. Zumindest wenn der mp3-Player auf voller Lautstärke läuft und das nervtötende Gegackere des Federviehs übertönen kann.

Und dann sind ja da noch die kleinen Sachen, die diesen Job trotz aller Widrigkeiten erinnerungswert und unvergesslich machen:

Die - wie oben erwähnt - tägliche Anfahrt durch eine beeindruckende Landschaft. Von Nebelschwaden durchzogene Wälder und Felder vor einem grandiosen Gebirgspanorama. Heißluftballons, die durch die kühle und klare Morgenluft gleiten. In weiter Entfernung vereinzelte Rauchschwaden, die von in Brand gesteckten Zuckerrohrfeldern aufsteigen.

Die täglichen Fahrten mit dem Quad zwischen den sheds und über das Farmgelände. Manchmal begleitet von einem der Farmhunde, die nichts lieber machen, als sich Wettrennen mit dem Vierrad zu liefern. Kängurus, die in sicherer Entfernung grasen. Schlangen, die untätig auf den Wegen herumliegen und sich erst bewegen, wenn man fast über sie hinweg fährt.

Ja, es sind diese kleinen Dinge, die in regelmäßigen Abständen so etwas wie Glücksgefühle aufkommen lassen und mich daran erinnern, warum ich hier bin...

Morgen ist dann auch schon mein letzter Tag als "Hühnerpicker". Ich werde aber dennoch eine weitere Woche auf der Farm bleiben (dürfen) und versuchen, mich als Farmhand nützlich zu machen. Bäume pflanzen, Löcher buddeln, sheds saubermachen. Etwas Abwechslung. Danach? Who knows...

Das Leben im Hostel im Übrigen ist recht alltäglich. Man kommt heim, trinkt Kaffee, redet ein bisschen mit den Leuten und vertreibt sich seine Zeit mit Filmen oder Büchern. Find ich im Moment recht angenehm (und noch nicht langweilig).

Ach, eine wichtige Neuigkeit habe ich ja noch gar nicht erwähnt. Anne und ich haben uns getrennt. Sie hat das Hostel letzte Woche zusammen mit Christine (unserem Holden Nova) verlassen. Der Grund war einfach. Ich hatte dieses Mal Glück (an 19 von meinen 21 Tagen hier war ich arbeiten), sie leider nicht. Ihre Farm kürzte die wöchentliche Arbeitszeit auf 2,5 Tage, was gerade gereicht hätte, Miete und Unterkunft zu decken. Also musste sie Prioritäten setzen. Auch war Gina, die Managerin, nicht gerade das, was man ihre beste Freundin nennen könnte. Wir trennten uns im gegenseitigen Einvernehmen (also kein Stress, Streit, o.ä.^^) und je nachdem, wie die Dinge weiterlaufen, treffen wir uns u. U. auch noch einmal wieder. Leider habe ich jetzt keinen fahrbaren Untersatz mehr... Aber auch ohne gehts weiter!

So, ist natürlich mal wieder viel zu lang geworden. Egal.

Liebe Grüße an alle Zuhausgebliebenen aus winterlichen Tolga!

Markus