Hamburg

01.March 2018 - Kalimpong


"Ich nehme mir fest vor, mehr zu schreiben." Ja, nee, ist klar, Utsch.
Zu meiner Verteidigung: Seit meinem Umzug nach Kalimpong habe ich viel zu tun. Ich bin unter der Woche oft von neun bis halb vier in der Grace Academy, meiner jetzigen Schule. Nachmittags schreibe ich meine verbleibende Hausarbeit, Lieder für den Unterricht oder an einem Arrangement für die Blue Sundays, meinen Knuffelchor in Osnabrück.

Und krank war ich zwischendurch auch noch. Mein Magen kämpft jetzt doch mit dem indischen Essen. und manchmal sagt er eigentlich auch "Utsch, was machst zum Kuckuck machst Du hier? In Gorubathan habe ich in meiner eigenen, kleinen Welt gelebt, hier in Kalimpong ist der Umgang oft kalt und rau. Es ist leider üblich, die Kinder anzuschreien oder zu schlagen. Und alles, was ich tun kann, ist traurig zu gucken und zu fragen "Is there no other way?" (Findet sich kein anderer Weg?)

Da ich weder schlage noch schreie, haben die unteren Klassen null Respekt vor mir. Das macht mir sehr zu schaffen. Es ist laut, die Kids sind außer Rand und Band, aber ich kann ja nicht einfach gehen. Ich habe schließlich Aufsichtspflicht. Oder so. Gibt es so etwas in Indien? Bis vor kurzem musste man nicht mal eine Ausbildung haben, um Lehrer zu sein.

Ich war jedenfalls am Ende der letzten Woche fix und alle. Jetzt kommt in den unteren Klassen immer noch eine Lehrkraft mit hinzu. Seitdem läuft es viel besser.
Mit den Großen wiederum habe ich viel Spaß. Die sind sehr neugierig und fasziniert, dass mein Englisch so anders ist als das hiesige. Als ich das erste Mal meine Ukulele auspacke, entfuhr ihnen ein neugieriges "Ambo". Das hat es übrigens mit dem Titel dieses Eitnrages auf sich: Ich hörte überall den Ausruf "Hamburg" und dachte mir "Ja, Hamburg, klar, aber läge New Delhi nicht näher?"

Dann klärte mich eines Tages eins der Kinder auf: "Ambo" heißt so viel wie "Wahnsinn" oder "Krass". Inzwischen kann ich die Kids schon so gut immitieren, dass sie einen Moment lang verwirrt gucken und dann lachen müssen.
Süß ist auch das Nepali-Äquivalent für ein ungläubiges "Waaaas?". Da sagt man nämlich "Laaaa?". Das ist wie singen. Das kann man auch gut mit Hamburg kombinieren: "Laaaaa? Ambo!"

Ansonsten habe ich viel dazu gelernt. Zum Beispiel, dass ich, wenn ich im Unterricht Geburtstage behandle, nicht beide Zwillinge nach ihrem Geburstag fragen muss. Die Anwort war völlig überraschenderweise die gleiche wie die zuvor.
Und ich habe gelernt, wie man leserlich an eine Tafel schreibt, weil, naja, weil sonst niemand meine Schrift lesen könnte. Zumal hier fast alle in Schreibschrift schreiben.
Und: wenn man Geburtstag hat, bringt man für die ganze Schule Süßigkeiten mit. Auch für die komische Voluntärin aus Deutschland, die ganz breit zu grinsen anfängt, wenn man Ihr Schokolade anbietet.

Ich denke jetzt viel über meine eigene Schulzeit nach und wie viel Glück ich gehabt habe. In der Grundschule wurde ich ermutigt und verwöhnt, obwohl ich glaube ich eine riesige Quasselstrippe war (ich lasse das jetzt mal im Präteritum stehen). Und auch auf dem Gymnasium wurde ich angefeuert und unterstützt, selbst in meinen ängstlichen und verklemmten Phasen.
Ich weiß nocht, meine Eltern haben ihren 25ten Hochzeitstag zum Teil in der Sprechstunde meines Physiklehrers Herrn Knecht verbracht, weil ich keinen Durchblick hatte.

Wie damals fällt es mir auch heute noch schwer, um Hilfe zu fragen. Das ist etwas, dass ich hier in Indien gut üben kann, weil ich viele Dinge nicht weiß oder nicht verstehe. Wie bereitet man Unterricht vor, wenn es teilweise keine Lehrbücher gibt? Wie kommuniziert man mit fünfjährigen, die kein Englisch können? Wie unterrichtet man Ethik? Welche Fragen sind angebracht für eine achte Klasse in Nordindien? Was macht man, wenn die Kinder nur Blödsinn machen?

Eine Frage, mit der mir hier niemand helfen kann ist: was mache ich, wenn ich meine Lieben ganz doll vermisse? Ach Ihr Süßen, ich bin so froh, Euch zu haben. Langsam kann ich die Tage runterzählen, bis ich wieder nachhaus fliege. Obwohl ich froh bin, dass ich nach Indien gekommen bin, werde ich es glaube ich nicht vermissen und sehr frohen Mutes wieder nachhaus fliegen.
Fühlt Euch gedrückt!

@Momo: Wenn ich wieder fliege, habe ich die ganzen guten, christlichen Kinder hier verdorben :D