Good Bye Gorubathan

14.February 2018 - Gorubathan


"Ich schau immer mal in Deinen Blog rein, aber Du schreibst so wenig" sagte Luise, mit der ich schon so manche lustige Stunde verbracht habe und die im selben Orchester Oboe spielt, das auch mein Cello und ich so lieb haben. Ich bin tierisch gerührt, dass so viele Menschen meinen Blog lesen. Damit habe ich weder gerechnet, noch war mir das bewusst. Ich habe mir fest vorgenommen, in Zukunft mehr zu schreiben.

Der Support meines Blogs hat es übrigens inzwischen geschafft, dass ich wieder Bilder hochladen kann. Danke! Wenn Ihr Euch also jetzt meinen letzten Eintrag anschaut, dann könnt Ihr Euch auch die Bilder dazu anschauen.

Demnächst wird es auch viel Neues für mich zu berichten geben. Am Samstag ziehe ich nach Kalimpong um. Das klingt wie ein verstopftes Blechblasinstrument, ist aber eigentlich eine der größten Städte in der Region. Ich bin sehr gespannt auf die Stadt, die Menschen, meine neuen Schützlinge und mein Leben für die restliche Zeit in Indien. Und ich sage Gorubathan "Lebewohl".

Ich sinne gerade ein bisschen darüber nach, warum ich so wenig geschrieben habe. Es ist nicht so, als gäbe es wenig zu berichten. Ich glaube, ich bin über die Jahre ganz schon anspruchsvoll geworden. Da bin ich nun in diesem kleinen Dorf in den Bergen, in dem manchmal Affen aus dem Nebel des Urwaldes kommen und wo riesige Palmen mich in den Schlaf wispern und trotzdem sind meine Lieblingsbeschäftigungen essen, lesen und träumen.

Das einzige, was mich stets überrascht und fasziniert, sind die Menschen um mich herum.
Die Familie meines Chefs Pawan, bei der ich gerade noch wohne, ist ziemlich fromm christilich, inklusive Beten vor dem Essen und Argwohn gegenüber Nikotin, Alkohol und der westlichen Spaß-Gesellschaft. Dies hat mannigfaltige Auswirkungen, unter anderem den Drang, zu helfen.

Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Pawans Familie Glück in der Kastenlotterie gehabt. "And I want to give back to the community" erklärte mir Pawan in unserem ersten Gespräch. Eigentlichist er Optiker, aber mit seiner selbstgegründeten Hilfsorganisation hat er genaugenommen zwei Jobs und keine Freizeit. Wenn er nicht in Kalimpong Augen untersucht, beantragt er Gelder, organisiert Kurse und Transfere, fährt selbst Voluntäre durch die Gegend und wirbt Freiwillige an. Der Mann ist eine Maschine. Menschlich komme ich leider nicht an ihn ran, er ist ein ganz schön komischer Kauz, aber seinen Helferinstinkt und sein Organisationstalent bewudnere ich.

Ähnlich ist es bei seiner Schwester Punam, die den Haushalt im Hause ihrer Eltern führt, in dem auch ich wohne. Punam schuftet im Haus, kocht, hat ein Amt in der Kirche und betreut trotzdem zwei Nachmittage in der Woche Grundschüler. Und das, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass sie Kinder gar nicht so gern mag. Trotz ihrer Zurückhaltung und ihres Ernstes lacht Punam gern und wirkt auf mich zufrieden mit ihrem Los.

"I don't like kids" (Ich mag Kinder nicht) gesteht auch meine Gastschwester Kejiya mir, die die restlichen Nachmittage die Betreuung der Kinder übernimmt. Kejiya ist sehr viel offener und neugieriger als Punam, was vermutlich daran liegt, dass sie mit ihren 21 Jahren zwei Jahrzehnte jünger ist. Sie fragt mich über alles aus, Liebe, Freiheit, Drogen, Sex und Regelblutung.

Das ist eine andere Auswirkung der Frömmigkeit der Familie: Konservatismus. Kejiya kann es kaum erwarten, dem Haushalt in Gorubathan zu entkommen. Nächstes Jahr darf sie nach Siliguri und dort Modedesign studieren. Dort ist sie frei. Dort kann sie rauchen, ohne sich in den Läden eingeweihter Ladenbesitzer zu verstecken und ohne, dass Gerüchte über sie im Dorf kursieren. Dort kann sie ihren Freund treffen, ohne Ausreden erfinden zu müssen. Ihr Freund ist Hindu. "If my family knows, they kill me" (Wenn meine Familie weiß, bringen sie mich um Englisch ist nicht ihre erste Sprache) sagt Kejiya im Scherz (Englisch ist nicht ihre erste Sprache). Ich bin froh, dass Kejiya weggehen darf. Die Abenteuerlust liegt in jedem ihrer Schritte und die Welt außerhalb Gorubathans ist groß.

Ich werde mein ruhiges Leben hier vermissen, denke ich. Am Sonntag hatte ich meine letzte offizielle Englischstunde mit meinem Konversationskurs und oh, ich bin so stolz darauf, wie weit meine Mädels und Kushal gekommen sind. Am Anfang haben sie nicht einen Pieps gesagt. Am Sonntag haben sie ohne mit der Wimper zu zucken mehrere Minuten lang von ihrem Leben erzählt. Ich hatte Tränen in den Augen.

Ganz am Ende hatte ich Bescherung. Alle haben mir etwas geschenkt. Stifte, Schokolade, ein Thermos-Teebecher, ein Notizbuch und eine Karte mit englischen Gedichten über das Lernen. Ich war sehr berührt. Wenn ich groß bin, möchte ich Lehrerin werden.

Das ist glaube ich genug für heute. Fühlt Euch umarmt, Ihr Lieben. Ich bin sehr dankbar Euch zu haben. Einer der Gründe, warum mich hier wenig wirklich vom Hocker haut ist, dass ich mein Leben zuhaus sehr lieb habe und mich sehr darauf freue, Euch bald wiederzusehen.
Bis ganz bald!

Eure Utsch